Samstag, 30. November 2013

Hass mich - oder lieb mich...

Ich weiß, die Textzeile ist wieder mal geklaut.

Diesmal von Marius Müller-Westernhagen, der in diesem Lied auf seinem 1980er Album „Sekt oder Selters“ das zu schmale Bett seiner Freundin beklagt.

Aber ich möchte diesen Satz als Anregung für euch alle nehmen, die ihr – mit mehr oder weniger Gefallen – seit nunmehr fast einem halben Jahr meine Blogbeiträge verfolgt.

Ich bin mir sehr gut darüber im Klaren, dass ich mit einigen meiner Beiträge schon mal mehr als nur knapp an der Grenze des guten Geschmacks entlangschlittere – muss aber gestehen, dass ich das mehr oder weniger mit Absicht tue.

Schließlich muss man manchmal den Menschen, die man wachrütteln oder auch nur auf ein sensibles Thema hinweisen möchte, auch mal mehr oder weniger brutal eins überziehen, weil sonst bekommt man deren Aufmerksamkeit nicht.

Das soll nun aber wieder nicht heißen, dass ich zu der brutalen Sorte Mitmenschen gehöre. 
Ich glaube, eher ganz im Gegenteil. Getreu dem Motto „Hunde, die bellen, beißen nicht“ gehöre ich eigentlich mehr zur sensiblen Sorte, auch wenn ich das sehr gut hinter meinem oftmals ruppigen Auftreten zu verbergen weiß.

Ich bin also jemand, der gerne und lautstark polemisiert und polarisiert und dies mit großem Spaß auch bewusst als Stilmittel anwendet. 
Oftmals sind meine Beiträge auch gar nicht so knallhart gemeint, wie sie für den einen oder anderen dann letztendlich herüberkommen – meinen etwas schwärzeren Humor und den Hang zu Zynismus und Sarkasmus kann nicht jeder immer gleich erkennen.

Und anders als bei vielen Satirikern und Kabarettisten – heute nennt man sie ja wohl Standup Comedians – sind meine Anmerkungen nicht immer in einem Kracher verpackt, der das Publikum zu lautstarkem Lachen veranlassen soll.

Gegen Lachen (obwohl ich selbst dazu immer in den Keller gehe…) habe ich absolut nichts – und bei einigen meiner Beiträge setze ich auch bewusst auf Klamauk und Situationskomik (Siehe „Alles in Dosen“, „Angriff der Porno-Viren“).

Aber mir persönlich ist es lieber, wenn dem Leser das anfängliche Lachen dann beinahe im Halse stecken bleibt, denn dann habe ich erreicht, dass über eine skurille Bemerkung tatsächlich noch einmal nachgedacht wird.

Klar, das gelingt mir nicht immer und wie gesagt manchmal bin ich auch ganz bewusst böse – zum Beispiel wenn es gegen meine Lieblingssekte – die (katholische) Kirche – geht. Ich habe mir da auch in den letzten Tagen teils harsche Kritik anhören müssen, in der von unangebrachter Polemik die Rede war.

Nun gut, ich lasse ja jedem seinen Glauben und werde den Teufel tun und mich an dieser Stelle ganz sicher nicht als den neuen Messias präsentieren. Das wäre mir viel zu mühsam – täglich über’s Wasser zu laufen, Blinde und Lahme zu heilen und sonstige Wunder zu wirken…

Nur sollte man vielleicht auch anerkennen, dass meine Meinung zum Thema Religion und Kirche eine gänzlich andere ist. Wir leben nun mal nicht mehr in finsteren Zeiten, in denen ein Blitz, der in einen Dornbusch fährt und diesen entzündet als göttliches Zeichen gedeutet werden muss – sondern heutzutage weiß eigentlich ein jeder, dass es sich hierbei um einen physikalischen und relativ alltäglichen Vorgang handelt, den es sich ganz und gar nicht zu mystifizieren lohnt…

Aber jedem das Seine.

Wer gerne auf göttliche Zeichen hofft und die in alles Mögliche hineininterpretieren möchte – es sei denjenigen gegönnt…

Das Gleiche kann ich auch zu einigen ausländerfeindlichen und immer wieder im Netz auftauchenden Tendenzen sagen:

Ich bin auf jeden Fall für unser Asylrecht und damit dafür, dass Menschen, die andernorts wegen ihrer religiösen oder politischen – und neuerdings auch wegen ihrer sexuellen – Gesinnung verfolgt werden, in diesem unseren Lande einen sicheren Hafen und hoffentlich auch eine neue Heimat finden.

Aber ich bin ganz und gar dagegen, dass immer mehr Menschen in unser Land strömen, die nichts anderes sind als Wirtschaftsflüchtlinge, die lieber ihre Heimat verlassen, um sich an den Errungenschaften anderer gütlich zu tun, anstatt in ihren Heimatländern die Dinge, die nicht in Ordnung sind einfach selbst in die Hand zu nehmen und sich wirksame Abhilfe schaffen.

Auch sind mir die sogenannten Patrioten, die zurzeit vermehrt durch die digitale Welt geistern, mehr als nur suspekt.

Auch hierzu habe ich meine Meinung bereits – hoffentlich – deutlich artikuliert.

In diese Kategorie fallen auch diejenigen deutschen Politiker, die sich momentan nicht anders zu profilieren wissen, als mit Hetze gegen Migranten an die Öffentlichkeit zu treten, mit der der Eindruck erweckt werden soll, man wolle uns unsere kulturelle Identität wegnehmen…

In diesem Kontext können wir also wieder auf meine Eingangszeile zurückkommen:

Hasst mich oder liebt mich…

… das ist mir egal…

Vielleicht nicht ganz egal, aber ich kann eigentlich ganz gut damit leben, nur von einigen Wenigen oder halt auch von gar Niemandem geliebt zu werden…

Und bitte niemals nicht vergessen:

Meine Blogbeiträge sind MEINE ganz persönliche Meinung, die ich niemandem aufzwingen will und werde. Immerhin ist die Lektüre meines Blogs nach wie vor vollkommen freiwillig. Wer sie nicht liest, dem entstehen im realen Leben keinerlei Nachteile!

Ebenso wenig erhebe ich Anspruch darauf, mit meinen Beiträgen den Stein der Weisen gefunden und damit der Weisheit letzten Schluss für mich gepachtet zu haben...


Ein schönes Wochenende wünsche ich Euch…

Sonntag, 10. November 2013

Homo sapiens dummbatziensis

Es wird immer schlimmer!

Ehrlich, es ist nicht mehr zum Aushalten und ich bin kurz davor zu resignieren.

Gegen die allgemeine Dummheit und Intoleranz kommt man einfach nicht an.

Da fühlt man sich wie ein Feuerwehrmann bei einem Flächengroßbrand, der immer wieder erleben muss, dass ein neuer Brandherd auf fackelt sobald er andernorts ein kleines Flämmchen erstickt hat oder halt wie der berühmteste aller Männer, der jemals einen sinn- und nutzlosen Kampf ausgetragen hat – Don Quichote bei seinem erbarmenswürdigen, legendären Kampf gegen Windmühlenflügel, die er - aus welchem Grund auch immer – für Drachenmonster hielt.

Nach den vielen Diskussionen der letzten Tage über die unsäglichen Bemühungen deutscher Politiker Ressentiments gegen Mitbewohner mit Migrantenhintergrund mit blödsinnigen angeblich von eingereisten Mitbürgern angeregten Versuchen der Umbenennung alter kultur-historischer Bräuche hab ich  ja eigentlich schon mal geglaubt, dass es doch einige geschnallt haben müssten.

Aber Pustekuchen!

Ein Blick auf meine Facebook-Startseite heute Morgen zeigte mir, dass Ignoranz und Dummheit in diesem unserem Lande ganz bestimmt nicht auf dem Weg sind, auszusterben.

Ganz im Gegenteil…

Heute war es dann das berühmte Gedicht zur Weihnachtszeit „Von draußen vom Walde komm ich her“ das irgendein Totalhirnamputierter mit ausländerfeindlichen Vorurteilen gespickt, der nicht totzukriegenden Migrantenhetzwelle angeglichen und – natürlich – auf Facebook gepostet hat.

Wahrscheinlich war er oder sie auch noch mächtig stolz auf dieses Machwerk.

Und der-/diejenigen, die sich zur Teilung und Weiterverbreitung dieses menschenverachtenden Machwerks aufgerufen fühlten, glauben sicher auch mit diesem Gedicht den Stein der Weisen entdeckt zu haben.

Ich werde diesen „Erguss“ jetzt nicht hier zitieren und auf diese Weise zur Weiterverbreitung der Hasstirade beitragen.

„Vom Arbeitsamt, da komm ich…“ beginnt dieses Pamphlet und dann folgen die üblichen Klischees über Ausländer, die uns armen Deutschen die Arbeit wegnehmen, uns um unsere Sozialleistungen erleichtern und natürlich - als Gipfel der Plattitüde -  selbstverständlich alle mit Drogen handeln und unsere Jugend in den Abgrund reißen…

Blöder – um es mal milde auszudrücken – geht es kaum noch.

Als ich im April 2009 meinen Job verlor waren darin ein Prokurist, mein Abteilungsleiter sowie der Betriebsleiter involviert. Der Prokurist war ein Deutscher, der Abteilungsleiter konnte polnische Vorfahren aufweisen und der Betriebsleiter kam aus Sizilien.

Wenn ich nun wegen dieser Sache überhaupt gegen irgendjemanden einen Groll hege, so richtet der sich ausschließlich gegen diese drei Menschen persönlich. 
Niemals käme ich auch nur auf den Gedanken, jetzt wie weiland der Führer, in Polen einzumarschieren und Entlassung mit Entlassung zu vergelten und erbarmungslos um mich herum zu kündigen.

Ein Einmarsch in Sizilien scheidet ganz aus – dem Hören nach soll dort die Mafia heimisch sein, mit denen muss ich mich nicht überwerfen – aber den drei genannten Personen persönlich würde ich schon mal ganz gerne ob meiner ins Stocken gekommenen Zukunftsaussichten meine Faust in die Fresse hauen – aber nur denen.

Und – ein guter Freund von mir, griechischer Abstammung, hat einen wohldotierten Job, den er sich in jahrelangem Einsatz erarbeitet hat. Nach Meinung einiger Volksverhetzer gehört dessen Job ja nun nach meinem Geburtsrecht mir und der gute Mann ist umgehend zurück in den Balkan zu verfrachten…

Also – geht’s noch?

Die Evolution des homo sapiens sapiens – der jetzigen Erscheinungsform des modernen Menschen – scheint nicht nur ins Stocken geraten zu sein, sondern sich in eine Devolution hin zum homo sapiens Dummbatziensis hin gewandelt zu haben.

Wer auch immer sich dazu durchringen kann und das ganze Geschreibsel lesen möchte – dieses Machwerk wird bestimmt heute oder in den nächsten Tagen und Wochen auch von Menschen eures Bekanntenkreises geteilt und dann für euch lesbar sein.

Ich mache das nicht mehr mit.

Meine Konsequenz aus diesem Posting war, dass ich die betreffende Person – ebenso wie im  letzten Jahr, als ein von mir bis dato seit Jahrzehnten geschätzter Autor plötzlich einen Weihnachtsgruß der NPD mittels Teilen verbreitete – ohne weitere Rücksprache rigoros aus meiner Freundesliste entfernt habe und auch in Zukunft werde ich so verfahren – egal ob es sich bei dem Poster um einen realen oder virtuellen Freund oder gar einen nahen oder entfernten Verwandten handeln sollte – diese Personen will ich auf keinen Fall mehr in meinem Umfeld wissen.

Wer sich mal die Mühe macht und ein Geschichtsbuch in die Hand nimmt, wird feststellen, dass es vor gut 90 Jahren mit solch unterschwelligen Hetztiraden gegen andere Bevölkerungsgruppen schon einmal angefangen hat.

Das gipfelte dann in der Erhöhung dieses kleinwüchsigen, sprachbehinderten Österreichers – schon wieder ein Ausländer! – mit dem kleinen Schnauzbart und den spastischen Zuckungen im Arm – ihr wisst hoffentlich noch, wohin uns das damals geführt hat…

So, damit möchte ich es für heute gut sein lassen – obwohl man sich eigentlich viel vehementer gegen diese Idioten zu Wort melden muss.


Das Wetter ist heute Scheiße – macht trotzdem das Beste aus dem Tag …

Dienstag, 5. November 2013

Martinsingen

So langsam sollte man sich wieder Gedanken machen darüber, wie man sich verhält, wenn in den nächsten Tagen in den dunklen Stunden wieder zahlreiche Kinder mit Laternen und Fackeln von Haus zu Haus ziehen um mal mehr und dann auch mal wieder weniger schön niedliche Liedchen vorzutragen, in dem von einem reichen Mann erzählt wird, der einen armen Mann trifft und sich seiner erbarmt, indem er ihm die Hälfte seines Protzgewandes schenkt.

Abgesehen davon, dass sich in der Folge wohl beide den Arsch abgefroren haben werden – denn jeder von uns weiß, dass ein halber Mantel ungefähr die Wärmewirkung eines Gästehandtuchs erreicht.

Ach ja, und von Sonne, Mond und Sterne singen die Kids dann auch, in der Hoffnung, dass sich die besungenen Haustüren öffnen und die in den Wohnung lebenden Menschen ihre Sangeskunst mit möglichst viel Süßigkeiten belohnen.

Nun bin ich auf Grund der in den Zeitungen und anderen Medien in den letzten Tagen aufbrandenden Diskussionen über eine Umbenennung dieses klitzekleinen Stücks deutsch-christlichen Kulturguts leicht verunsichert, ob die Verteilung von Gratis-Naschereien noch political correct sein  kann.

Sollte ich nicht vielmehr ‚n Sack Datteln ins Haus karren, einige Falafel-to-go vorbereiten oder sogar gleich lieber einen Hammel in mundgerechte Stückchen zerlegen, um bloß niemand mit deutscher Kultur in Berührung zu bringen, der hier zwar lebt, in die Schule geht, später vielleicht auch mal hier arbeiten wird und ganz sicher in dem einen oder anderen Umfang die zahlreichen sozialen Leistungen unseres Landes in Anspruch nehmen wird.

Ich hab andererseits bei den zahlreichen St.-Martins-Umzügen noch nie ein Kind gesehen, das beim Erhalt einer Tafel Schokolade verächtlich die Nase gerümpft hätte und „Ihh, christliche Versuchung“ proklamiert hätte.

Vielmehr erinnere ich mich bei allen Kindern in einem solchen Moment nur an ein glückliches Lächeln und hab bisher auch nur tausende artige „Danke schön“ gehört und wurde nie aufgefordert meine Süßigkeiten wieder wegzupacken, weil man nicht mit dem kulturellen Gedankengut seines Gastlandes kontaminiert werden wolle.

Überhaupt – auch wenn diese Diskussionen letztendlich so sinnvoll sind wie ein Kropf oder eine Furunkel am Arsch, wenn man zudem nicht einmal eine Hand frei hat, um sich zu kratzen – ich frage mich einmal mehr, was der bundesdeutsche Politiker in seinem Kopf haben mag. 

Meine Vermutung, dass es wahrscheinlich nicht einmal mehr heiße Luft sein kann, äußere ich hier mal besser nicht, sonst bescheinigt mir noch irgendjemand eine Politiker-Phobie…

Es ist schon traurig, dass die Bevölkerung eines Landes nicht die Eier in der Hose hat, zu seinem kulturellen Hintergrund zu stehen.

Ich weiß, da wäre ja noch diese unglaubliche Erbschuld unserer Eltern – aber auch dazu habe ich in einem gesonderten Beitrag bereits – hoffentlich! – laut und deutlich etwas zu gesagt.

Traurig ist und bleibt es allemal, dass irgendwelche Politiker, die wissen, dass sie in den nächsten 4 Jahren dank der Blödheit des Wahlvolks nicht mehr anders zum Zuge kommen werden, offenbar nur den Weg kennen, sich mittels Schüren von Hass unter den Bevölkerungsgruppen im Gedächtnis des Volkes zu halten.

Das ist das wirklich traurige an dieser unleidlichen Diskussion!

Dieses künstlich hochgeschaukelte Gelaber um eine St.-Martin-Umbenennung ist der Gipfel einer Profilneurose von Politikern, die verzweifelt dagegen anzukämpfen versuchen, im Ozean des Vergessens zu versinken – wo sie meiner Meinung nach eh fast alle hingehören.

Lasst den Kindern – egal woher sie kommen – doch ganz einfach während der Umzüge ihren offensichtlichen Spaß und hört auf, selbst die Kleinsten der Kleinen jetzt schon in eurem Kampf der Kulturen zu instrumentalisieren, der eh mit ein wenig gegenseitiger Toleranz zu vermeiden wäre.

Es gibt einen alten antiken Spruch, der auch heute noch und für alle Kulturen gültig ist: „Wenn du in Rom bist, benimm dich wie ein Römer“.

So, wie wir im Moment alle gegeneinander und nicht miteinander umgehen, kommt mir ehrlich gesagt nur noch die Galle hoch und ich finde von Tag zu Tag immer weniger Gründe, noch auf irgendetwas in unserem Lande stolz zu sein…

Wenn die Politiker solche Angst vor einer Überfremdung in ihrem eigenen Land haben, dann sollten sie ganz einfach die Grenzen schließen und den Schlüssel in das tiefste Loch schmeißen, das sie finden können - und nicht wie jetzt, jeden – aber auch wirklich JEDEN – mit dem Versprechen, hier fließe Milch und Honig, Toleranz und Gleichheit und was auch immer nach Deutschland zu locken…

Wenn also dieser Tage singende Kinder mit Laternen und Fackeln bei euch auftauchen – habt keine Angst, das sind keine Brandstifter!

Die wollen ganz einfach nur ein kleines bisschen interkulturellen Spaß und jede Menge von diesen teuflischen Süßigkeiten!


Also – jetzt seid ihr wieder dran….

Montag, 4. November 2013

Plötzlich Familie

Wann ich den Anfall von Torschlusspanik hatte, kann ich heute nach all der Zeit wirklich nicht mehr so richtig nachvollziehen.

Es muss so um meinen vierzigsten Geburtstag herum gewesen sein, dass mir plötzlich schmerzlich bewusst wurde, dass um mich herum zwar die meisten Ehen zerbrachen – aber mir das Schicksal eines einsamen, verhärmten, alten Mannes drohte, der irgendwann – wahrscheinlich nach Wochen des Dahinfaulens – leblos in seiner Wohnung aufgefunden werden würde.

Das war eine Vorstellung, die mir auf einmal nicht mehr behagte. 

Obwohl ich natürlich bis dato immer meine Unabhängigkeit zelebriert hatte: Ich hatte gelebt, oftmals so, als wenn es nicht unbedingt ein Morgen geben würde; hab‘ mir so manche Droge und unzählige Liter Bier in den hohlen Kopp gehauen und einige Ereignisse um mich herum nur in einem gnädigen Nebel wahrgenommen.

Und dann war da plötzlich dieser seltsame Gedanke an einen einsamen Tod…

Mit einem Mal war mir klar, dass ich diesem Zustand ein Ende setzen musste, bevor es zu spät sein würde – Frau und Kinder waren doch das, was ich eigentlich immer mal ins Auge gefasst hatte – für später halt.

Und jetzt war doch wohl später – wann wohl sonst…

Aber war es nicht vielleicht schon zu spät?

Immerhin hatte ich mich auf meinem Vierzigsten endgültig von meiner Jugend verabschiedet und auch meine Ausrede, dieses Alter ja nach einem Herzinfarkt kurz vor meinem 30. Geburtstag gar nicht erst zu erreichen, war von heute auf morgen einfach hinfällig geworden.

Da stand ich nun… (ich armer Tor… - aber das wäre aus Goethes Faust, der Tragödie Erster Teil, geklaut…).

Bevor ich dann Jahre später wirklich auf das letzte Mittel in Form von Kontaktanzeigen hätte zurückgreifen müssen, kam mir der Zufall zur Hilfe.

Meine wöchentliche Macke ist die Lektüre von Perry Rhodan, einer Science-Fiction-Heftromanserie, die seit 1961 erscheint und so seit dem elften oder zwölften Lebensjahr meine Leiblektüre geworden ist. 

Und mit dieser Macke – (Was wollt ihr? Andere sammeln Damenunterwäsche oder gucken jede Folge GZSZ?) – stehe ich nicht einmal allein. Im Laufe meines Lebens habe ich dadurch schon so einige Menschen kennengelernt und unter anderen dann auch Georg, der dieses Hobby tatsächlich sogar noch exzessiver als ich betreibt und nachweislich außer der seinerzeit verordneten Schullektüre niemals ein anderes Buch in die Hand genommen hat.

Dieser Georg nun ist mit einer Thailänderin namens Lee – ihr richtiger Name Phakakrong ist fast unaussprechlich - verheiratet und anlässlich einer unserer Treffen lernte ich auf diesem Wege dann deren Schwester – Atchara - kennen, die zu Besuch in Deutschland war und entscheidungsfreudig wie ich nun mal bin (manchmal, doch wirklich…!) beschlossen wir in relativ kurzer Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen. 

Auch wenn ich wusste, dass Atcharas primäres Begehren ein Leben in Deutschland war.

Aus einer früheren Beziehung in Thailand hatte sie eine zu diesem Zeitpunkt sechsjährige Tochter und für mich war es eine glasklare Sache, dass dieses Kind nach unserer Hochzeit im März 2004 nach Deutschland kommen müsse, um meine Patchwork-Familie zu komplettieren – und natürlich auch, weil sie hier schulpflichtig wäre und ich der Ansicht war, dass es für sie am besten sei, jetzt nach Deutschland zu kommen, wenn sie hier eine nachhaltige Zukunft finden sollte.

Und so war es dann am Samstag, 24. Juli 2004 soweit:

Zusammen mit ihrer Tante kam sie am Kölner Flughafen an – ein kleines, fremdes Mädchen aus Sukhothai mit dem beinahe unaussprechlichen Namen Narissara, genannt Wee.

Atchara und ich waren ganz aufgeregt. Atcharas Aufregung rührte daher, dass Wee das letzte Dreivierteljahr bei ihren Großeltern aufgewachsen war, also eine längere Trennung beendet werden sollte.

Meine Aufregung war mehr darin begründet, dass ich mir schon sehr unsicher war, wie das Kind meiner Frau fern der Heimat mit einem fremden Menschen klarkommen würde, der nunmehr ihr Vater sein sollte und eine Sprache sprach, die sie noch gar nicht verstand.

Ich setzte da schon voll bewusst auf die Fähigkeit von Kindern, sich schnell an neue Umgebungen anzupassen und selbst war ich mir eigentlich sicher, dass es mir ein Leichtes sein würde, mich mit dem Kind zunächst anzufreunden und ihm in der Folge ein – wie auch immer gearteter – Vater sein zu können, schließlich hatte ich einige Jahre Jugendarbeit auch überlebt…

Und dann öffnete sich die automatische Schiebetür im Ankunftsbereich und ich starrte angestrengt nach dem Kind, das ich bisher nur von Bildern kannte.

Und zu meiner Schande muss ich sagen, dass ich sie im ersten Moment auch nicht erkannt habe, wie sie da stolz den Gepäckwagen mit ihren Koffern vor sich herschiebend auf Atchara und mich zukam.

Eine erste Musterung meiner Person durch Wee schien ich zu bestehen, sie grüßte mich mit einem thailändisch-devoten „Saswahdee Kah“, wurde von Atchara vor Freude fast erdrückt und ich stellte mich mit „Ich bin der Reiner“ vor, worauf meine Frau gleich auf Thai konterte: „Das ist dein Papa“ und so war dann auch gleich geklärt, wie Wee mich ansprechen sollte, obwohl ich auf den „Papa“ ehrlich gesagt gar nicht bestanden hätte.

„Wann sehe ich denn richtigen Schnee?“ war eine der ersten Fragen, die sie auf der Fahrt vom Flughafen nach Leverkusen stellte (immer übersetzt von Atchara), wobei sie angestrengt aus dem Fenster sah und die neuen Eindrücke dieses fremden Landes begierig in sich aufsaugte.

Ihr neues, eigenes Zimmer gefiel ihr natürlich – in Thailand war Wee zunächst bettelarm in einer Holzhütte aufgewachsen, mit Lehmboden – bis Onkel Georg den Schwiegereltern ein richtiges Haus baute. Diese Holzhütte habe ich zwei Jahre später bei meinem ersten und einzigen Thailandbesuch kennengelernt – da wurde sie dann als Garage genutzt.

In den folgenden Wochen wurde ich ganz schön auf Trab gehalten von diesem neugierigen Energiebündel, das mit mir durch die Gegend wetzte und erst so nach und nach in der Lage war, sich rudimentär mit mir zu verständigen.

Nie werde ich vergessen, wie wir durch Leverkusen liefen und Wee ihren ersten deutschen Satz „Papa, was ist das?“ bei allen Gegenständen angefangen vom Grashalm auf der Wiese bis zum Straßenschild anwandte und so von mir Begriff zu Begriff immer mehr dieser neue Sprache lernte.

Im Nachhinein stellte sich meine Überlegung, sie sofort nach der Hochzeit nach Deutschland zu holen, als die richtige Entscheidung heraus.

Nach sechs Wochen in Deutschland kam sie in die Schule – auf Empfehlung einer Bekannten konnte ich sie in der Schlebuscher Waldschule unterbringen, weil „die Lehrer sich da richtig um die Kinder kümmern“ – und vor allem wollte ich unbedingt verhindern, dass sie auf eine katholische Grundschule kam und dort deren mittelalterlichen Doktrin unterworfen wurde. Die Teilnahme am evangelischen Religionsunterricht geschah auf freiwilliger Basis, immerhin sind meine Frau und Tochter im buddhistischen Glauben aufgewachsen.

Und Wee lernte schnell:

Im Oktober saß sie morgens am Frühstückstisch und radebrechte: „Ich weiß nicht, ob ich das richtig sage – aber mein Fahrrad ist kaputt!“ – was mich in zweierlei Hinsicht fast vom Stuhl warf. 

Zum einen, weil ich mit Freuden feststellte, dass unsere Verständigung langsam aber sicher auf eine solide Basis geriet und zum zweiten, weil ich mir nun Gedanken darüber machen musste, wie ich mit meinen zwei linken Händen eine Fahrradreparatur bewerkstelligen sollte…

Unvergesslich auch unsere gemeinsamen Abende, wenn Wee kurz vor dem Schlafengehen mit mir zusammen ihren „Spongebob“ sah oder auch, wenn sie unverhofft des Nachmittags zu mir kam und mich fragte, ob ich das Buch mal aus der Hand legen könnte.

„Warum?“ konnte ich noch fragen, während ich das Buch weglegte, dann warf sie sich auch gleich mit voller Wucht auf mich und schrie „Weil ich jetzt kämpfen will!“ – in der Beziehung war sie damals beinahe ein Junge. Und die Kämpfe gingen nicht immer zu meinen Gunsten aus…

In diesen Wochen und Monaten fühlte ich mich zum ersten Mal wirklich erwachsen, ohne auf diese Erkenntnis wie sonst üblich mit Entsetzen zu reagieren.

Ich war richtig stolz auf Narissara, wenn sie nachmittags aus der Schule kam und aus ihrem Schulranzen einen in eine Serviette eingewickelten Reibekuchen vom Mittagessen hervorkramte, weil „du magst doch gerne Reibekuchen.“

Oder wenn sie, ohne selbst richtig lesen zu können, allwöchentlich in die Schulbücherei spazierte und mit Weltraumbüchern nach Hause kam, was ich mir nicht erklären konnte.
„Warum holst du dir immer so schwere Bücher, die du gar nicht richtig verstehst?“ wollte ich bei einer Gelegenheit wissen.

„Du interessierst dich für Weltraum. Das will ich auch alles wissen. Ich will alles wissen, was du weißt…“

Oh Mann!

In diesem Moment hatte ich wahrscheinlich den doppelten Brustumfang, so sehr schwoll meine Brust vor Stolz.

Es fällt schwer, sich im Nachhinein an all diese kleinen und wunderschönen Augenblicke zu erinnern. Etwa an Wees erstes Weihnachten und natürlich auch ihren ersten Schnee, die erste Schlittenfahrt – alles Ereignisse, die ich im Leben nicht mehr vergessen werde – wie auch jene ganz speziellen Momente 2006 in Thailand:

Wir hatten Wee natürlich gefragt, ob sie während dieser Ferien ihren leiblichen Vater, der sich irgendwann als sie noch ein Säugling war, vom Acker gemacht hatte, treffen wolle.
„Nein. Ich habe jetzt einen neuen Vater“, war ihre Antwort. „Der kümmert sich jetzt um mich…“

Ja, ohne weitere Worte…

Und unvergessen, wie Narissara sich Tage später nachts mal wieder in die Mitte unseres Bettes zwischen meine Frau und mich durchkämpfte, mich im Halbschlaf ganz fest umarmte und – ohne richtig wach zu sein – murmelte: „Du bist jetzt mein Vater!“

Ich konnte vor lauter Stolz natürlich nicht mehr schlafen…

Mittlerweile sind neun Jahre vergangen; Wee strebt zielsicher das Abitur an und ist jetzt natürlich in dem Alter, wo „Eltern peinlich sind“, wie ich mir vor kurzem auch schon mal sagen lassen musste. Aber da ich weiß, wie ich in dem Alter war, mache ich mir deswegen keine weiteren Sorgen, denn wenn’s drauf ankommt, bin ich auch heute noch immer ihr erster Ansprechpartner – „außer bei Frauenproblemen“, wie sie ausdrücklich betont – aber damit kann ich sehr gut leben…

Und dann sitze ich jetzt hier – nachdem meine langjährige Arbeitslosigkeit diese Familie zumindest vorerst auseinandergerissen hat – alleine in meiner Küche und schlinge mein Abendessen hinunter. 

Und mir fällt plötzlich ein, wie oft wir früher in der Küche abends zusammensaßen und Wee mich dann mit ihrer kindlichen Frage „Papa, liebst du mich?“ öfters aus dem Konzept brachte.

„Natürlich!“ dachte ich und gab stattdessen aber meist nur ein undeutliches Grunzen von mir. Manchmal auch ein „Das weißt du doch“ und ich frage mich plötzlich, ob ich alter Gefühlskrüppel vielleicht bei dieser Gelegenheit einmal mehr meine Zähne hätte auseinander kriegen sollen, um ihre Frage laut und deutlich zu bejahen.

Also sitze ich jetzt einmal mehr am Schreibtisch und haue in die Tasten und hoffe, dass der richtige Mensch aus meinem Geschreibsel die richtigen Schlüsse zieht…


Also, wenn Euch eure Kinder einmal mit dieser für sie so immens wichtigen Frage kommen – seid nicht so blöd wie ich und gebt ihnen eine Antwort…