„Dann sind wir ja
klar“, resümierte Hans und lehnte sich auf dem Sofa zurück. „Du kommst freitags
direkt nach dem Dienst nach Hause, wir sorgen dafür, dass dann die Kohle
bereitliegt und du kümmerst dich um das Dope.“
Harry nickte, während er sich Mischung in den Kopf der Huka
schaufelte, um sich anschließend das Gerät an den Mund zu halten und die Ladung
mit einem tiefen Zug zu inhalieren.
„Ja, das geht klar – und Jörg fährt mich dann Sonntagabend
zurück in die Kaserne.“
Alles war geregelt.
Pünktlich zu Beginn seines Wehrdienstes war es Harry
gelungen, eine günstige Connection aufzutun, bei der er die wöchentlichen
Ladungen Rauchware für sich und seine Mitstreiter in der Tafelrunde bekam. Die
Sache hatte nur den Haken, dass derjenige nur in Kontakt mit Harry treten
wollte und auch während des Wehrdienstes keinen Vertreter akzeptieren wollte.
Obwohl er natürlich Harrys sämtlichen Kumpels nicht unbekannt war, pflegte
Walter, ein großes Tamtam um seine Tätigkeit zu veranstalten.
Aber was sollte es – die Connection war günstig und vor
allem zuverlässig, so dass sich Harry auf den Deal mit seinen Kumpels einließ
und fortan pünktlich nach Dienstschluss Freitags zum Delmenhorster (später zum
Celler) Bahnhof eilte, um die schnellste Verbindung in sein Heimatdorf zu
erwischen, wo er von Jörg oder Hans oder auch schon mal Tobi mit einem Bündel
Geldscheine erwartet wurde, die er in den nächsten Stunden in die begehrte
Rauchware verwandeln sollte.
Ein Unterfangen, das auch immer reibungslos verlief:
Ankommen, Geldübergabe, einen kurzen Abstecher zu Walter, der dann den
Zeitpunkt der Abholung der Ware festlegte und dann halt spät abends die
Drogenübergabe und anschließende Verkostung im Kreise der Gruppe, die sich in
Anlehnung an Monty Pythons „Die Ritter der Kokosnuss“ die Tafelrunde nannten,
wohl wissend, dass sie alles andere als ritterlich waren – höchstens genauso
plemplem wie die Python’sche Ritterrunde…
Es ging immer alles
klar, Woche für Woche – bis:
Harry und Walter hatten 21 Uhr für die Abholung des
Rauschmittels vereinbart und es war selbstverständlich, dass Harry auf die
Minute pünktlich an Walters Wohnung klingelte, der auch beinahe sofort die
kleine Klappe in seiner Haustür öffnete und mit leicht glasigem Blick
hinausspähte.
„Was willst denn du?“ lautete die barsche, leicht nuschelige
Frage.
„Wir hatten eine Verabredung“, erwiderte Harry und vermied
es, im Hausflur über das brisante Unternehmen zu sprechen, ganz so wie Walter
es ihm bei jedem Treffen immer wieder in seinen neurotischen Augenblicken
eingebläut hatte.
„Kann nicht sein“, kam die Antwort und Walter wandte sich
ab.
„Heh, Moment“, Harry wurde ein kleines bisschen lauter und
schob die Hand in das Türfenster, bevor Walter es schließen konnte.
„Ich hab dir vor drei Stunden die Kohle gebracht und jetzt
erwarte ich die vereinbarte Lieferung!“
Es sollte entschlossen wirken, doch Walters gelangweilter
Blick ließ ihn unsicher werden.
„Was sonst?“ kam die gleichgültig gestellte Frage.
„Ja sonst“, Harry überlegte. Eigentlich kam er mit Walter,
den er auch außerhalb des wöchentlichen Drogendeals schon seit etlichen Jahren
zumindest flüchtig kannte, ganz gut klar. In vielen Dingen lagen sie auf einer
Wellenlänge – zumindest solange es nicht um harte Drogen ging, von denen Harry
glaubte, dass Walter diese auch in nicht unbeträchtlicher Menge konsumierte.
„Sonst…“ Harry zuckte die Schultern und wurde wieder
unsicher. „Sonst wirst du erleben, was passiert…“
Das klang ganz und gar nicht taff und Harry wusste es, auch
ohne das höhnische Gelächter hinter dem sich schließenden Türfenster.
„Toll!“ schoss es
Harry durch den Kopf. „Tolles Wochenende! Fängt ja mal wieder prima an!“
Er trollte sich mit dunklen Gedanken die Treppe hinunter aus
dem Haus und suchte den Treffpunkt mit seinen Freunden auf.
„Das gibt’s nicht!“ ereiferte sich Tobi, der von ihnen körperlich
der Kleinste war und hieb mit dem Hackmesser wütend in den Rest der Mischung,
die er in Erwartung des Nachschubs vorbereitet hatte. „Haben sie dem ins Hirn
geschissen, oder was?“
Harry rollte mit den Augen und zuckte einmal mehr mit den
Schultern.
„Und jetzt?“ Tobi war richtig böse – der Großteil der Kohle
stammte aus seiner Tasche.
„Was soll ich machen?“ nuschelte Harry, der sich gar nicht
wohl fühlte, denn obwohl solcherart Geschäfte natürlich keine rechtliche
Grundlage hatten, war er für den Verlust der Summe verantwortlich und das hieß
bei seinem Wehrpflichtigen Sold – er wollte lieber nicht daran denken….
Hans war es, der erst ganz ruhig die Huka neu füllt, sich
das Gerät ansetzte und den Inhalt des Kopfs in einem langen, tiefen Zug inhalierte,
danach genüsslich eine gewaltige Rauchwolke ins Wohnzimmer blies und sich im
Sessel zurücklehnte.
„Keine Panik!“ sagte er und kämpfte gegen einen Hustenanfall
an. „Das kriegen wir schon wieder hin…“
„Ja, Klasse“, nörgelte Harry. „Soll ich morgen zu Walter
gehen und ihm eine einscheppen?“
Schon bei dem bloßen Gedanken an diese Aktion wurde ihm ganz
schlecht. Walter war mehr als einen Kopf größer als Harry und von seiner Statur
her, würde er ein gewaltiges Pfund in den Schlag seiner Fäuste geben können.
Harrys K.O. war so gut wie vorprogrammiert.
„Ne“, lachte Jörg und tat seinerseits einen Zug aus der
Huka.
„Ganz sicher nicht.“ bestätigte Hans und blickte in die
Runde. „Da hast du Null Chance, aber wir könnten dem mal so richtig einen
Schrecken einjagen. Danach rückt der dir das Dope schon raus…“
Hans strich sich das lange blonde Haar hinter die Ohren.
„Tobi, du hast doch
da zu Hause ein paar Knarren…“
Harry quollen bei diesen Worten fast die Augen aus dem Kopf.
Waffen!
Scheißdreck – schon beim Bund waren ihm die Dinger suspekt
und nach einem ersten Probeschießen, dass ihm zumindest bestätigte, dass er die
anvisierte Richtung halten konnte, hatte er seine eigene Methode entwickelt die
andauernden Schießübungen mehr oder weniger zu boykottieren. Und jetzt schlug
Hans allen Ernstes den Einsatz und – nein nicht wirklich, oder? –
Gebrauch von Schusswaffen vor.
Klar Tobias war ein Waffennarr und in seinem Zimmer in der
elterlichen Wohnung lag immer was rum – mal eine Automatik; einen einschüssigen
Schrot-Derringer hatte Harry auch schon mal probeweise angefasst – und natürlich
der 45er Colt: dieses gewaltige, schwere Ding, bei dem sich Harry immer fragte,
wie die Westernhelden damit so schnell ziehen und schießen konnten…
„Also – bei Waffen
bin ich raus“, wehrte Harry ab und Jörg und Hans brachen wegen seines
erschrockenen Gesichtsausdrucks in schallendes Gelächter aus.
Tobi war schon auf der Suche und kam kurz darauf tatsächlich
mit einer Automatik und dem berüchtigten 45er zurück. Hans zog seine Jacke aus
und griff nach seinem kleinen Revolver, den er aus nie näher definierten
Gründen schon seit geraumer Zeit immer mit sich herumtrug. Er überlegte es sich
anders und griff nach dem 45er, wog ihn in der Hand. Bei ihm sah das relativ
locker aus und unvermittelt warf er die Knarre zu Harry, der sie gerade so mit
beiden Händen auffing – und dennoch nicht verhindern konnte, das dieses mächtig
schwere Gerät scheppernd auf den Wohnzimmerboden krachte, was ihm sämtliche
Farbe aus dem Gesicht trieb, bei dem Gedanken, ein Schuss könne sich lösen.
„Keine Angst, du Schisser“, feixte Tobias und öffnete die
rechte Hand, in der 6 Patronen funkelten. „Hab’s nicht geladen – viel zu
gefährlich in der Bude!“
Mit leicht zitternden Fingern hob Harry den Ballermann vom
Boden auf und wiegte ihn prüfend in der rechten Hand, die sofort wieder einen
unwiderstehlichen Drang entwickelte, sich dem Fußboden zu nähern.
„Boah, ist das Scheißding schwer“, jammerte er.
„Kein Problem – das kriegst du morgen schon hin und denk
dran, der, der in den Lauf dieser Kanone guckt, hat ganz bestimmt noch mehr
Schiss als du…“
Es ließ sich wohl
nicht vermeiden – am nächsten Morgen klingelte Harry bei Walter und
stiefelte, nachdem er die Haustür aufgedrückt hatte, die zwei Etagen hinauf, wo
Walter schon aus seinem Türfensterchen lugte.
„Du schon wieder“, grinste er und wollte sich gleich wieder
abwenden.
Harry fasste all seinen Mut zusammen und riss den Colt hoch,
den er unter seiner Jacke versteckt gehalten hatte. Er schob den Lauf durch das
Fenster und lehnte die Waffe auf den Rahmen, froh, dass die Auflagefläche das
Zittern seiner Hand kaschierte.
„Pass auf, Walter“, sagte er mit einem leichten Schwanken in
der Stimme. Seine Knie fühlten sich gerade weich wie Pudding an und er wünschte
sich an so ziemlich jeden Ort der Welt – nur nicht gerade hierhin und zu diesem
Augenblick. „Bevor du jetzt wieder was Falsches tust und mich zwingst Sachen zu
tun, die ich gar nicht tun will – Geh einfach mal an dein Wohnzimmerfenster,
zieh die Gardine zur Seite und guck mal auf die Straße.“
Ob es normal war,
dass sich gerade jetzt seine Blase meldete?
Harry hatte das Gefühl, dass
der Revolver in seiner Rechten von Sekunde zu Sekunde immer schwerer wurde.
Walter wurde blass, starrte kurz wie hypnotisiert in den
Lauf des 45er und bewegte sich rückwärts vom Fenster fort.
Schweiß rann Harry ins rechte Auge und brannte so höllisch,
das er mit der linken Hand die Flüssigkeit wegwischen musste.
„Hoffentlich ist Walter nicht aufgefallen, dass ich den
Abzugshahn überhaupt nicht gespannt habe!“ durchzuckte es ihn. Tobias hatte ihm
gestern Abend lange und immer wieder eingebläut, dass er das tun solle, bevor er
das Ding auf Walter richtete, denn den Revolver abzufeuern, ohne zuvor den Hahn
zu spannen, hatte sich bei den Trockenübungen als unmöglich herausgestellt.
Bei dem Versuch, jemandem den Kopf wegzublasen, würde er sich
wahrscheinlich eher das rechte Ei wegschießen…
Er hörte Walter im Wohnzimmer mit der Gardine rascheln und ihn
dann erschrocken einatmen, als auf dem Bürgersteig – in Sichtweite zu seinem
Wohnzimmerfenster – Hans und Tobias mal eben kurz ihre Jacken anhoben und ihre
im Hosenbund und Hans‘ Schulterhalfter befindlichen Knarren aufblitzen ließen…
Der Schweiß auf seiner Stirn wollte nicht versiegen und
jetzt brannten beide Augen höllisch. Harry sah eigentlich kaum noch etwas und
das Zittern seiner Hand musste jetzt auch für einen Blinden ganz klar zu
erkennen sein und seine Beine – „Mein Gott! Ich kippe gleich aus den Latschen
und pisse mir auch noch in die Hose!“ durchzuckte es Harry, während er hörte,
wie Walter zurück kam.
„Mann, Alter“, rief
er halblaut durch das Fenster und hantierte am Türschloss. „Das war doch
alles nur ein Riesenmissverständnis…“
Die Tür öffnete sich, Harry zog die Wumme zurück und steckte
sie mit letzter Kraft in den Hosenbund – zum Glück gesichert, seine Eier waren
in diesem Augenblick einer immensen Gefährdung ausgesetzt – und stakste mit unsicheren
Schritten hinter Walter her, der entgegen seiner sonstigen Art nicht aufhören
wollte, sich mit einem unendlichen Wortschwall für das „Versehen“ zu
entschuldigen.
Irgendwann saß Harry dann wieder im Kreis seiner Kumpane,
setzte das Huka an und haute sich einen extra fetten Kopf in die Birne. Er
bekam noch mit, wie ihm Hans anerkennend auf die Schulter klopfte, blies in
Begleitung eines fürchterlichen Hustenanfalls eine gewaltige Rauchwolke in den
Raum und griff nach dem Revolver, den er mit immer noch zitternden Händen
vorsichtig auf den Tisch ablegte und mit einer Bewegung, die alle Verachtung
der Welt beinhaltete, zu Tobias hinüberschob.
Eines war sicher: Harry war für solcherart Action nicht
gemacht und für ihn war klar, dass diesen Job schnellstmöglich jemand anders
übernehmen musste.
Dann erreichte das THC wohl seinen Verstand, der in einen wohligen
Nebel eintauchte, in dem sich langsam aber sicher die unendliche Angst dieses
Morgens verlor…