Josef war angefressen.
Nein, richtiggehend angepisst.
Maria war seine große Liebe, ohne Frage.
Seine Eltern hatten
mit ihrer Familie alles klargemacht. Der Brautpreis war bestimmt und
angemessen, das Verlöbnis offiziell. Jeder wusste, Maria und Josef waren ein
Paar.
Er war richtig verliebt in seine Maria, obwohl sie sich
immer zierte, wenn er statt des abendlichen Knutschens hinter dem Haus seine
Hände auf Entdeckungsreise über ihren Körper schickte. Ihre Brüste anfassen und
streicheln – das war ja noch okay, aber wenn er seine Hand tiefer wandern ließ,
über den Bauch, hinab…
Ja, da war sie konsequent.
Eine anständige Frau ging als Jungfrau in die Ehe.
Schluss und aus – keine weiteren Diskussionen und so blieb
Josef nichts anderes übrig, als sich auf die bevorstehende Hochzeit und die
folgende Hochzeitsnacht zu freuen.
Soweit – so gut…
Aber dann…
Er wusste nicht mehr, was er denken sollte.
Gekränkt war er auf jeden Fall.
Und zornig.
Zornig auf seine Maria, die ihm vor kurzem eröffnet hatte,
sie sei schwanger, ihm aber nicht sagen wollte, welcher Schuft ihr das –
sicherlich nur mit Gewalt! – angetan hatte. Kein Wort kam über ihre Lippen und
im Gegensatz zu anderen Frauen, die er kannte und denen ihre Jungfräulichkeit
mit Gewalt genommen worden war, wirkte sie kein bisschen traurig oder wütend
oder…
Nein, ein glückseliges Lächeln lag immer auf ihren Lippen
und in ihren Augen.
Sie freute sich auf das Kind und das gab Josef den Rest,
machte ihn fast rasend vor Eifersucht.
Hatte man ihr vielleicht gar keine Gewalt angetan und seine
Verlobte hatte ihre Beine willig breitgemacht für…
Ja, für wen?
Wer war der Schuft, der es wagte, in sein privates Glück
einzudringen und ihm seine Zukunft kaputt zu machen?
In seiner ersten Wut, hatte er ihr seine Faust ins Gesicht
schlagen wollen – aber diesem Blick, dieser Frau konnte und wollte er nicht wehtun.
Dann wollte er unbedingt wissen, welcher Schurke sie geschwängert hatte, hatte
sie angefleht, erst leise und sanft und dann immer lauter und voller Wut.
Aber Maria lächelte nur und – schwieg.
Er wollte seine Sachen packen, nein – er wollte SIE aus
seinem Haus werfen.
Aber dann würde seine Schande, die Tatsache, dass seine
große Liebe ihm Hörner aufgesetzt hatte, für jeden offenbar werden und
irgendwann war er wieder ruhiger geworden, hatte nachgedacht und die Hochzeit
etwas früher angesetzt, um ihren Makel zu kaschieren – damit sich später niemand
das Maul darüber zerreißen könnte, dass seine Maria so früh nach der Heirat sein
Kind gebar.
Sein Kind…
Es wurmte ihn immer noch.
Auch jetzt, lange Monate später, wo sie beide – Maria hochschwanger
– auf dieser gut ausgebauten Römerstraße nach Nazareth unterwegs waren, weil
dieser Kerl Augustus, der sich Caesar nannte, im fernen Rom auf den glorreichen
Gedanken gekommen war, sein Volk in aller Welt zählen zu lassen – aus welchem
Grund auch immer.
Die Reise war trotz der Römerstraßen – wenigsten etwas Gutes
hatten die Besatzer getan – beschwerlich, besonders in Marias Zustand. Es
konnte nicht mehr lange dauern, und dann würde sein Sohn geboren…
Er begann, sich mit dem Gedanken an den Kuckuckssohn
anzufreunden – seine Schande war noch niemandem offenbar geworden und Maria
hatte erste, mystisch verbrämte Andeutungen über den Vater gemacht, die Josef
aber als Schwangerschaftsfantasien abtat und nicht ernstnahm.
Hah, der Heilige Geist sollte ihr das angetan haben. Er
hätte keinen Grund zur Eifersucht, eher zu großer Freude…
Josef schüttelte unwillig den Kopf und sah in den Himmel.
Trotz des noch vorherrschenden Tageslichts konnte er die seltsame
Himmelserscheinung deutlich sehen. Wäre er abergläubig wie manche alten
Waschweiber, würde er jetzt an Weltuntergang oder andere schlimme Dinge denken, aber da oben war nur ein besonders heller Stern zu sehen – besonders des
Nachts.
Es würde kalt werden diese Nacht.
Kalter Wind kam auf und
Josef beschloss, dass es an der Zeit sei, sich um eine Unterkunft für die Nacht
zu kümmern. Es würde schwierig genug werden, denn dank dieses römischen
Erlasses war ungemein viel Volk unterwegs, um sich in ihren Heimatorten
erfassen zu lassen.
Der nächste Ort war Bethlehem…
Toll, wenn er in letzter Zeit eh schon immer eine
unterschwellige schlechte Laune mit sich herumtrug, so war er jetzt erst recht
angefressen. Alle Herbergen waren voll belegt gewesen und mit Geld und guten
Worten oder selbst dem Hinweis auf den Zustand seiner hochschwangeren
Begleiterin war es ihm nicht gelungen, eine Unterkunft für die kommende Nacht
aufzutreiben.
Ein Bauer hatte ihnen dann nach langem Suchen erlaubt, die
Nacht in seinem Stall zu verbringen, einem kalten, unbehaglichen Ort voll
stinkendem Stroh und in dem zu allem Überfluss – natürlich – auch noch das Vieh des Bauern untergebracht war.
Um den Tag perfekt abzurunden hatten dann auch vor Kurzem
die Wehen bei Maria eingesetzt und zu zweit auf sich alleingestellt hatten sie es
in diesem dreckigen Stall zuwege gebracht, dass Maria den Jungen gebar.
Eigentlich hatte er nur händeringend dagestanden und stumme
Gebete zu Jehova gesandt und ihn inbrünstig gebeten, alles gut gehen zu lassen.
Er hatte zu guter Letzt dann nur mit zitternden Fingern die Nabelschnur mit
seinem beinahe stumpfen Messer durchtrennt und den Säugling, der kräftig schrie,
mit kaltem Wasser gereinigt.
Kurze Zeit später wurde es voll in der Hütte.
Ganz vorsichtig – bei dem vielen Stroh konnte der Stall sehr
leicht gänzlich abfackeln – hatte Josef für ein kleines Feuer gesorgt, das
wenigstens für ein wenig Wärme in ihrer stinkenden Unterkunft sorgte.
Plötzlich hatten drei komische Vögel an das Tor geklopft und
gefragt, ob sie hier ebenfalls die Nacht verbringen könnten.
Ausländer – ganz offensichtlich. Fremd und gut gekleidet
kamen sie näher und betrachteten seine Frau und vor allem den neugeborenen
Sohn.
Sie waren Gelehrte, Sterndeuter um genau zu sein, und ihr
Ziel war nicht die allgemeine Volkszählung dieser römischen Eroberer, sondern
sie stritten sich in drei verschiedenen Sprachen über die Bedeutung der
Himmelserscheinung, die jetzt in der späten und kälteklirrenden Nacht besonders
hell am Himmel erstrahlte.
Dieses Leuchten hatte sie aus der Ferne hierher und vor dem Stall zusammengeführt.
Dieses Leuchten hatte sie aus der Ferne hierher und vor dem Stall zusammengeführt.
Natürlich musste dies ein Omen sein.
Irgendetwas Großes war geschehen, würde geschehen…
Josef hörte nur mit halbem Ohr auf das Gesabber der
Ausländer, kümmerte sich um seine Frau und …. Seinen Sohn.
„Vielleicht hat uns das Himmelslicht ja mit Absicht in
diesen Stall zu euch geführt“, wandte sich Melchior an Josef.
„Ich bin ein einfacher Zimmermann, welches Wunder erwartest
du von mir…“ Seine Antwort klang ätzend.
„Vielleicht wird dein Sohn einmal ein ganz Großer…“
entgegnete Caspar.
„Klar; König der Juden wahrscheinlich. Bezwinger der
römischen Invasoren…“ Josef konnte den Spott in seiner Stimme nicht
unterdrücken.
„Doch, doch“, ereiferte sich nun auch Balthasar, der dritte
in dieser merkwürdigen Gelehrtenrunde. „Die Sterne lügen nicht. Man muss ihre
Botschaften nur zu deuten wissen!“
Josef rollte mit den Augen und wandte sich wieder seiner
kleinen Familie zu.
„Wir haben einige Geschenke mitgebracht. Für den Fall der
Fälle…“ eröffnete Melchior und alle drei überreichten dem verdutzten Josef
kleine Schatullen mit Weihrauch – eine fast unbezahlbare Kostbarkeit -, Myrrhe
und in einem der Kästchen waren gar einige Goldmünzen.
Josef bekam das Gefühl, dass man ihn auf den Arm nehmen
wolle und sein unterdrückter Zorn drohte ihn zu übermannen.
„Nehmt es“, sagte Balthasar. „Nehmt es – für das Kind.“
Er ließ seinen Blick durch den Stall schweifen.
„Ihr könnt sicher etwas für einen guten Start gebrauchen…“
Wenn Josef geglaubt hatte, es könne nicht mehr seltsamer
kommen an diesem Abend, so sah er sich getäuscht.
Nachdem die drei seltsamen – in seinen Augen geistig
verwirrten - Sterndeuter sich wieder hinaus in die Nacht aufgemacht hatten,
erschien aus heiterem Himmel so ein Schönling vor dem Stall. Er nannte sich
Gabriel und wollte unbedingt das Kind und Maria sehen.
Erneut regte sich Eifersucht in Josef – war das vielleicht
jener, welcher…?
„Ist schon in Ordnung“, ließ sich Maria vernehmen und
stärkte seinen schwelenden Verdacht. „Ich kenne ihn…“
„Ja“, brauste Josef auf. „Und wer ist er? Vielleicht der Vater….“
Gabriel unterbrach ihn mit einem wissenden und
verständnisvollen Lächeln.
„Nein, keine Sorge, Josef. Ich bin ein Engel des Herrn…“
Josef musste jetzt schon an sich halten, um nicht laut los zu
prusten. Die Seltsamkeiten nahmen in dieser Nacht offensichtlich kein Ende.
Ein Engel des Herrn!
Sein Blick musterte Gabriel von oben bis unten und Mitleid
stahl sich in seinen Blick.
Klar doch, ein Engel – und wo sind die Flügel und das
Flammenschwert?
Er sagte nichts, sondern starrte den seltsamen Besucher nur
an.
„Ich muss euch warnen.“ eröffnete Gabriel. „Ihr müsst fort
von hier und zwar schnell. Das Kind und auch ihr seid in großer Gefahr!“
„Da magst du recht haben“, ätzte Josef. „Der Gestank hier
drinnen und das viele Stroh so nahe beim Feuer…“
„Josef“, Gabriel hob nicht einmal seine Stimme.
„Du und
deine Frau – ihr müsst mit dem Kind – sofort – für einige Zeit verschwinden!
Ihr seid eures Lebens hier und in Israel nicht sicher! Ihr werdet schon noch
verstehen…“
Maria glaubte dem Schönling, denn sie wurde direkt unruhig,
wohingegen der Säugling unbekümmert in ihrem Arm schlummerte.
„Josef! Wenn Gabriel
uns warnt, müssen wir ihm glauben…“
„Und wieso – weil er ein Engel des Herrn ist?“
Josef lachte kurz und verächtlich auf. Maria sah ihn ernst
und flehend an.
„Bitte, Josef. Die Zukunft wird dir alles erklären…“
Letzen Endes konnte sich Josef nicht erklären, warum er auf
Marias Drängen einging, dem Bauer den Esel im Stall für eine der Goldmünzen der
drei Verrückten abkaufte und sich schon kurz darauf auf dem Weg zur ägyptischen
Grenze wiederfand.
Gabriel, der Schönling, war natürlich sang- und klanglos
verschwunden…
Erst als die drei die Grenze ins Pharaonenreich längst
überschritten hatten, überholte sie die Nachricht, dass in Israel alle Kinder
auf Geheiß von Herodes, dem Strohpuppenkönig aus römischen Gnaden, hingemetzelt
worden waren.
Alle Kinder, die in der gleichen Nacht geboren wurden wie
Jesus, sein Sohn…
Josef verfiel ins Grübeln.
Aber die düsteren Gedanken verflüchtigten sich schon bald
wieder.
Er war ein einfacher Zimmermann aus Nazareth und in einigen
Wochen würde er mit seiner kleinen Familie dahin zurückkehren und sein
einfaches Leben weiterführen.
Er warf einen Blick auf Jesus, der in weiße Leinen gewickelt
an Marias Brust schlummerte, und lächelte.
Und sein Sohn würde wie er dereinst ebenfalls Zimmermann
werden.
Was wussten schon drei durchgeknallte sternenguckende
Ausländer….?