Dienstag, 15. April 2014

Ein Angebot, das man (nicht) ablehnen kann…

von Helen Kowalewski



Erziehung kann ja so erschreckend sein!

Da hört man aus allen Ecken Leute reiferen Alters über die Jugend von heute schimpfen und deren Erziehung bitter beklagen, und obwohl  ich aufgrund meiner vielen entsprechenden Kontakte die Meinung vertrete, dass die meisten jungen Leute eigentlich recht ordentlich geraten sind, muss ich ihnen plötzlich zustimmen.

Nein, ich bin NICHT überfallen worden.

Angepöbelt hat mich auch niemand, sieht man mal von dem „charmanten, jung gebliebenen, sensiblen“ Mittsiebziger ab, der mich in einem der gängigen Social Networks  anbaggerte und von mir einen Korb bekam, weil ich mich irgendwie mit den von ihm in Aussicht gestellten Lebenshöhepunkten nicht anfreunden konnte, wie: uns gemütlich auf der Couch einer der actiongeladenen (gähn) amerikanischen Serien oder die neueste hochintelligente deutsche Show reinziehen , zu Worten und Klängen von Andrea Berg oder Helene Fischer einen flotten Disco Fox aufs Parkett legen, begeistert zu den Klängen der angesagten Blaskapelle mitklatschen, im eigenen Garten Unkraut jäten (ganz zu schweigen von der Verarbeitung des vielen an- bzw. abfallenden Obstes) und was der ähnlichen Knaller Erlebnisse mehr sind. Und Außendienstler vor meiner Wohnungstür (ob jugendlich oder nicht) werden von mir auch stets rasch und (bis zu einem gewissen Aufdringlichkeitsgrad) meist auch höflich verabschiedet. Niemand wollte an mein Leben, meine Gesundheit oder gar mein Eigentum…

Was ist also passiert?

MAN HAT MIR IM BUS EINEN PLATZ ANGEBOTEN!

Wie schockierend!

Ich bin doch nicht alt!!!

Andere in meinem Alter sind alt, aber ich doch nicht! 

Nicht, dass mir nicht schon seit einiger Zeit aufgefallen wäre, dass meine Rappenmähne sich langsam zum Schimmelfell wandelt. Nicht, dass die Lachfalten rund um die Augen im Spiegel immer mehr Canyons ähneln. Nicht, dass der Körper nicht ab und an reklamiert, dass ich nicht immer besonders sorgfältig mit ihm umgegangen bin. Aber so bewusst, wie in dem Augenblick, als der attraktive Jungspund im gut besetzen Bus von seinem Sitz aufstand und mir seinen Platz anbot, so deutlich habe ich bisher noch nie die Last meiner Jahre empfunden.
Muss ich mich jetzt langsam mal nach Rollatoren, Gebissen und preiswerten aber guten Pflegeheimen umsehen? Muss ich damit rechnen, dass mein Hirn langsam aber sicher in Richtung Demenz strebt? Wie lange noch, bis ich über meine Kondition nicht mehr meckere, sondern sie auf immer verabschiede?

Leute, das kann und darf doch nicht wahr sein!

Und das mir, die ich noch so viel vorhatte, wie reich werden, meine Liste der noch nicht besuchten Sehenswürdigkeiten auf der ganzen Welt abarbeiten, die große Liebe erleben usw., werde durch ein Beispiel guter Erziehung grausam daran erinnert, dass auch mein Leben endlich ist und mir das Gras, in das ich beißen werde, mit rasanter Geschwindigkeit entgegen wächst.
Alle diese Gedanken schossen mir während besagter Situation in Lichtgeschwindigkeit durch den Kopf. Okay, die Synapsen funktionieren also noch. Kein Grund zu Panik, junge Frau! Das Teenie wollte nur nett sein und dich keineswegs direkt in Richtung Altersheim manövrieren.
Es ist ja nicht so, dass man sich kurz vor der  60 nicht schon mal Gedanken darüber gemacht hätte, aber Tatsache ist, dass für mich das Alter ähnlich weit entfernt ist, wie einem Erstklässler die nächsten Sommerferien…. Äonen!!! Und dann muss man anhand solch eines Erlebnisses feststellen, dass es höchstens noch ein paar Jahre sind, die einem bleiben. Und die Jahre werden immer kürzer. So langsam verstehe ich meine Mutter immer besser, die bei anfallenden Sanierungsmaßnahmen unseres Hauses so treffend bemerkte „Das ist doch gerade (vor über 20 Jahren) erst gemacht worden!“
Das  alles sind Gedanken, die mich seit diesem Erlebnis quälen. Und die Ursache dieser Panikattacken: ein junger  Mann steht auf und fragt freundlich aber völlig unbedarft darüber, was er emotional in dir anrichtet: 

„Möchten Sie sich setzen?“

Und das alles nur, weil Erziehung doch noch zu funktionieren scheint. Liebe Eltern, ihr wisst ja gar nicht, was ihr mir damit angetan habt! Warum konntet ihr euren Sohn nicht zum oberflächlichen Egoisten erziehen, wie andere Eltern auch….

Ach ja… ihr wollt sicher noch meine Reaktion wissen: „Wenn du dich auf meinen Schoß setzen willst, gerne. Aber ich hab keinen Lolli dabei…“

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