Sonntag, 11. Mai 2014

Partytime!



Um es gleich vorweg zu sagen:

Dieser Beitrag soll nicht die „verderbte Jugend von heute“ anprangern, wie es in den letzten Wochen auf facebook vermehrt thematisiert wurde. Obwohl ich jene Postings mehr als nur peinlich fand, hab ich mir dazu meine Kommentare – auch wenn sie spitz auf der Zunge lagen und sich vehement artikulieren wollten – verkniffen. Ich fand es nur erschreckend, wie sich Menschen Anfang/Mitte Zwanzig derart herablassend und scheinbar entsetzt über biertrinkende 16-jährige Mädchen äußern können – und dabei ganz offensichtlich vergessen haben, was sie in dem Alter alles angestellt haben. Vor allem glaubte ich den Geruch ihrer eigenen Windeln noch ganz deutlich in der Nase zu spüren…

Meine Tochter Narissara wurde 16.

Nichts Besonderes – die meisten Menschen werden irgendwann mal 16 Jahre alt und zumeist noch viel, viel älter.

Da auf Grund meiner langjährigen Arbeitslosigkeit die letzten Geburtstagsfeiern meiner Tochter ausfallen mussten, fand ich irgendwann im letzten Herbst, dass es eine gute Idee sei, ihr anzubieten, ihren 16. Geburtstag etwas größer und in einem ausgefalleneren Rahmen zu feiern. Eine Räumlichkeit im örtlichen Jugendzentrum anzumieten sollte kein Problem sein – also machte ich den entsprechenden Vorschlag, schoss in der Lokalität Fotos, damit sie sich den Ort ihrer Feier besser vorstellen konnte – und…

Es kam keine Rückmeldung…

Der besagte 16. Geburtstag im März kam und ging und die Party wurde nicht mehr angesprochen, bis eines Tages das Telefon klingelte und sich meine Frau bei mir darüber beklagte, dass „deine Tochter“ (alles vermeintlich Schlechte an meiner Tochter geht aus mir nicht ersichtlichen Gründen irgendwie immer zu meinen Lasten) eine Party mit 30 Personen machen wolle. In meinem Kopf schrillten die Alarmglocken – da gab es Gesprächsbedarf.

Es stellte sich dann heraus, dass Wee bei meinem damaligen Angebot gar nicht mit ihrer Mutter über die Möglichkeit einer Party gesprochen hatte und jetzt plötzlich glaubte, wenn sie nur den Wunsch dazu äußere, würde Vater schon alles Weitere in die Wege leiten. 
Über Planung und Organisation in einem Jugendzentrum und der Verfügbarkeit der Vermieträume schien sich Wee nicht die geringsten Gedanken gemacht zu haben. Also mietete der alte Sack, dann nach  einigem Hin und Her für Anfang Mai die Grillhütte und ließ die weitere Planung vertrauensvoll in den Händen Narissaras…

Erste Diskussionen begannen, als Wee ganz vorsichtig anfragte, wie es denn mit dem Genuss von alkoholischen Getränken während der Feierlichkeit aussehe.
„Klar“, erwiderte ich jovial. „Gegen ein bisschen Bier und Wein in Maßen ist nichts einzuwenden.“ Schließlich hatten wir auf unseren ersten Parties – damals Anno Pief, in finsterster Vergangenheit – auch unser Bierchen genuckelt. 

Gar kein Problem, wieso wohl auch…

Der Tag des großen Einkaufs vor der Party rückte näher und Wee präsentierte ihre Einkaufsliste und ich fiel erstmals beinahe aus allen Wolken.
„Was?“ entfuhr es mir. „Sechs Kästen Bier? Und all diese Schickimicki-Getränke noch dazu? Darf’s auch noch ein Döschen Kaviar sein?“
Ihr Blick sprach Bände.
„Die wenigsten trinken Bier. Am meisten trinken die Mädchen Hugo und Palmbeach und die Jungs trinken auch lieber so Lemon-Bier.“
„Aber SECHS Kästen!“

In Gedanken versuchte ich mich daran zu erinnern, wie hoch der Bierkonsum bei unseren Parties war. Wenn die Erinnerungen nur nicht immer alle so vernebelt und verschwommen wären…

„Das sind 60 Liter Alkohol, plus das ganze andere Gedöns“, rechnete ich Narissara vor. „Bei 30 Personen heißt dass locker gut und gerne zwei Liter Sprit pro Nase – mehr als ich ehrlich gesagt verantworten kann und will…“
„Och, Papa. Sei doch nicht so uncool.“ Da war es wieder – jetzt hatte sie mich beinahe wieder an ihrer Angel. 
Jetzt fehlte nur noch…

Klar, auch der Augenaufschlag und der bittende Schmollmund wurden effektvoll eingesetzt.

„Und ich bin dann für die ganzen Alkoholleichen verantwortlich. Was werden deren Eltern zu mir sagen…“ wehrte ich mich.
„Die sagen nichts – wenn einer betrunken ist von meinen Freunden, dann schläft der höchstens ein. Es wird schon keiner aggressiv…“
„Vor Aggression hätte ich auch keine Angst! Aber die kotzen dann alles voll…“
„Wenn einer kotzt, muss der das auch selber wegmachen, ist doch ganz klar, Papa.“
Wieder dieser Augenaufschlag und der Schmollmund, mit dem sie mich schon als sie klein war immer wieder um den Finger gewickelt hat – ich bin ja auch so ein gottverdammtes Weichei…
„Na gut – der erste der kotzt, den lass ich das auflecken“, gebe ich mich letztendlich geschlagen.

In dem Zusammenhang dann auch noch einmal meinen Dank an Blacky, der am Tag vor der Party die Geduld aufgebracht hat, mit uns die Einkäufe zu erledigen und der sich wohl auch einige Male gefragt haben wird, für wie viele Feten das Alkohollager gedacht sei.

Freitag war dann der große Tag.

Jetzt hieß es nur noch, am späten Nachmittag im Jugendzentrum die Hütte herzurichten. Mir selbst stand wohl ein langer Abend im Büro vor meinem Laptop bevor, denn meine Anwesenheit auf der Party war ausdrücklich nicht erwünscht.
Ich konnte es mir natürlich nicht verkneifen morgens auf facebook einen blöden Spruch wegen der Party zu posten: 

          „Checkliste für den heutigen Abend:
Alten Bundeswehr-Tarnanzug rausgekramt, entmottet, gereinigt; passt nicht mehr - der Bauch hängt  raus   - aber egal...Nachtsichtgerät besorgt - ob's funktioniert kann ich erst heute Abend feststellen...Schrotflinte auseinandergenommen, gereinigt, wieder zusammengebaut - kein Bolzen übriggeblieben - geladen... und ähem - GESICHERT...

Ich bin bereit!!!!
WAS LOS IST?

KOMMEN DIE RUSSEN?


Nein, meine Tochter feiert heute Abend ihre erste Party - auch mit Jungs.......
Ich bin blendend vorbereitet!!!“ 


Hätte ich gewusst, was der Abend bringen würde, hätte ich mir diesen Spaß gespart – und ich wurde noch von einer facebook-Freundin gewarnt, die ein ähnliches Horrorerlebnis auch schon hatte.

Schon während der Vorbereitungen in der Hütte wurde ich von Wee nach dem Eintreffen ihrer Helfer aus dem Raum komplimentiert.
Also ging ich hinüber ins Haupthaus, setzte mich zur Sozialarbeiterin Birgit ins Büro und gemeinsam starrten wir gelangweilt hinaus in den Sturm. Das für den Abend vorgesehene Konzert war abgesagt worden, es war nicht mit einem Besucheransturm zu rechen.

Die Zeit verging und ab und an sah man einige Jungen und Mädchen ums Haus laufen, sich selbst fotografierend und in einer Hand auch locker eine Bierflasche haltend…

Alles im grünen Bereich. Ich sah auch keine Veranlassung, schon mal rüber zu gehen, um nach dem Rechten zu sehen. Man will ja auch nicht als spießiger, alter Sack dastehen, der der Jugend nicht ihren Spaß gönnt…

Die Party begann gegen 18 Uhr und irgendwann gegen halb Neun siegte meine Neugier dann doch und ich ging mal kurz hinüber in die Partyhütte.
Dass mir laute Hip Hop-Musik entgegenschallen würde, damit war zu rechnen.
Aber mussten deshalb die von Blacky geliehenen Boxen gleich lautstark um Hilfe flehen?
„Guckt mal, was für Superboxen ich gekriegt habe“, hatte sich Narissara gefreut, als die ersten Gäste eintrafen – kurz bevor ich weggeschickt wurde.

Jetzt kam aber richtige Panik in mir auf. Wenn die Kids die Boxen jetzt killen stehen mir einige nahrungslose Monate bevor!

Ich bin nicht sehr freundlich durch die Menge der Kids zum Laptop meiner Tochter gepflügt und auch meine Ansprache an den Jungen, der daran herumfummelte war alles andere freundlich – hatte ich ihr nicht ausdrücklich gesagt, sie solle NIEMANDEN an ihr Notebook lassen? Immerhin wurde die Lautstärke umgehend heruntergedreht – meine Ohren klingelten dennoch – und die Lautsprecherboxen quittierten diese Reduzierung mit einer dankbaren Soundverbesserung.

Erst jetzt, als ich mich anschickte, die Hütte wieder zu verlassen, sprang mich das Bild des Grauens an. 
Ich glaube, mir blieb vor Scheck der Mund offen stehen – ein Anblick, für den viele, die mich näher kennen ein fürstliches Eintrittsgeld hingeblättert hätten. Meine letzten Haare werden wohl steil aufgerichtet gewesen sein und sämtliche Farbe hatte mein Gesicht verlassen:

Das war doch vor drei Stunden noch eine schicke, anheimelige Grillhütte gewesen – sauber, gemütlich, aufgeräumt.

Ich habe in meinem Leben schon mehr als nur eine Chaos-Party er- und überlebt, aber gerade jetzt bot sich mir ein Anblick wie nach einem Bombenangriff im Zweiten Weltkrieg: Leere und halbvolle Flaschen kullerten, so sie nicht auf andere Hindernisse trafen, fröhlich quer durch den Raum. Benutzte Pappteller, Becher, Besteck und auch die eine oder andere angenagte Grillwurst und Hähnchenschenkel oder Flügel bedeckten den Boden.

Dazwischen wurde fröhlich getanzt – zum Glück, denn wer bewegungslos hier verharrte kam nach kurzer Zeit nicht mehr ohne Verlust seiner Schuhe von der Stelle.

Ich schloss die Augen, holte zweimal ganz tief Luft…

Neben mir stand plötzlich Wee und strahlte mich an.

„Die Party läuft so super! Danke, Papa!“

Mein Lächeln ob ihrer Worte wird wohl dem wölfischen Grinsen eines Mörders bei der Annäherung an sein Opfer geglichen haben – wortlos verließ ich die Hütte – ja, ich flüchtete förmlich Richtung Büro, wo ich mich dann in den Sessel vor dem Laptop fallen ließ und noch mehrmals tief Luft holen musste.

Ich kochte innerlich.

Bei allem, was mir jemals heilig gewesen sein sollte – so eine grenzenlose Schweinerei wie vor wenigen Minuten hatte ich in meinem wildbewegten Leben noch nicht gesehen – und dabei waren mir die Verwüstungen im umliegenden Gelände noch entgangen, weil ich nur da weg musste, wenn ich nicht explodieren wollte…

Mein erster Impuls war ehrlich gesagt, mir aus der Werkstatt eine Axt zu holen und die Party für beendet zu erklären…

Tief Luft holen, Reiner!

Immer nur ganz tief und langsam einatmen…

"Du wirst jetzt nicht die Spaßbremse sein, wie sonst immer. Du hast diese Party sogar angeregt und jetzt musst du da durch."

Mein schwärzester Moment in meiner langjährigen Mitarbeit in diesem Jugendhaus war 1988 eine Veranstaltung gewesen, an der 140 Skinheads teilgenommen hatten. Damals hatte ich mit 29 Jahren mein erstes Loch im Kopf (wirklich nur ein Versehen, keine Absicht eines Besuchers) und am Ende war eine Scheibe in der Eingangstür eingeschlagen worden – und das hatten wir damals schon als Super Gau empfunden…

Wie harmlos zu dem Chaos eben…

Ich zwang mich, eine DVD mit einigen M*A*S*H-Folgen einzulegen und schaffte es dann im Verlauf des Abends tatsächlich vier Folgen anzusehen – natürlich immer nur eine Folge, bevor ich mich auf eine Runde ums Gebäude begab und mit Entsetzen feststellte, wie sich immer mehr Flaschen und anderer Müll rund ums Haus ansammelten – von den Sauereien in den Toiletten ganz zu schweigen.

Da fiel es kaum noch ins Gewicht, dass ich mehrmals gezwungen war, einige übereifrige Jüngelchen aus der Mädchentoilette zu zerren, was mir unter den Freunden meiner Tochter ganz sicher noch weniger Sympathiepunkte eingehandelt hat.

Zwischendurch war meine Frau auch noch eingetroffen und hatte sich ganz mutig in das Getümmel gewagt, nur um zwei Stunden später, bevor sie dann entnervt mit dem Taxi nach Hause fuhr, im Büro vor mir zu stehen und über das Chaos zu schimpfen – „Du und deine Tochter – ihr seid  beide bekloppt!“ musste ich mir noch anhören, als ich ganz entgegen meines inneren Aufruhrs Atcharas Entsetzen zu beschwichtigen suchte. „Und da ist dieser Junge“, schimpfte sie weiter. „Ich hab ganz genau gesehen, wie der um Wee herumlungert und die immer berührt. Und Wee auch!“

Ja, stimmt, der Kerl war mir eben bei einem Kontrollgang auch aufgefallen, als er sehr nah – ZU NAH – bei Narissara saß und ich auch nur EINE seiner Hände sehen konnte. 

Leider verhindert der Empfang von Hartz IV-Leistungen seit Jahren den schon länger angedachten Kauf einer Schrotflinte…

Ich hab nicht mehr so viel Erinnerung an den weiteren Verlauf des Abends – jedenfalls bestand ich gegen halb Eins morgens darauf, die Party zu beenden. Die ersten Eltern hatten ihre Söhne und Töchter eh schon abgeholt und angesichts der Berge von Unrat, die sich in und um die Hütte stapelten, erschien mir diese Maßnahme angemessen – auch wenn sie von den anderen wieder als Schikane eines alten Sacks aufgefasst wurde.
Zum Glück blieben noch sechs Freundinnen und Freunde meiner Tochter da und halfen mit, das Chaos wieder zu beseitigen. Anderthalb Stunden später konnte ich dann die Hütte abschließen und mich selbst auf den Heimweg machen.

Die kurze Nacht verbrachte ich mit Albträumen, in denen ich in einem Meer benutzter Pappteller mit Kartoffelsalatresten und halbverzehrten Grillwürsten in die tiefsten Tiefen der Hölle gerissen wurde und das letzte, was ich sah, bevor die Müllberge über mir zusammenschlugen, war, wie das altehrwürdige Jugendhaus in einer dunklen Staubwolke in einen sich auftuenden Schlund gerissen wurde…

Schweißgebadet fuhr ich aus dem Schlaf: Samstagmorgen 6 Uhr.

Zeit aufzustehen und die Entsorgung des Leerguts in Angriff zu nehmen und dann vor allem früher als mit der Hausmeisterin vereinbart zum Jugendzentrum zu fahren und den ganzen übersehenen Unrat zu entfernen, bevor sie zur Schlüsselübergabe kommt und von einem Herzschlag dahingerafft wird…

Obwohl ich eine Stunde vor der Zeit eintraf war Waltraud schon im Einsatz und empfing mich lachend vor der Hütte.
„Na, die haben ja ganz schön rumgesaut“, begrüßte sie mich.
„Ich weiß, das hat mir auch keine Ruhe gelassen, deshalb bin ich jetzt schon hier, um – eigentlich vor deinem Eintreffen – noch einiges zu bereinigen.“
Waltraud winkte ab.
„Halb so schlimm. Aber jetzt weißt du, warum wir eigentlich solche Feiern nicht erlauben – auch keine 18. Geburtstage…“

Ja, ich hab’s kapiert – wirklich.

Obwohl die Hauptsache ist, dass meiner Tochter ihre Party Spaß gemacht hat – und das auch obwohl ihr nörgelnder Vater immer mit Leichenbittermiene ums Haus gestrolcht ist…

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