Samstag, 29. März 2014

Vater in Panik

Ach ja, was hab ich mir früher nicht immer vorgestellt, was für ein supercooler Vater ich dereinst mal werden würde. Einer, der von seinen Kindern abgöttisch geliebt und verehrt wird, der eine hohe Toleranzschwelle hat, seine Kinder nie schlägt oder auch nur ohrfeigt – eben halt der perfekte Übervater, der alles, aber auch alles viel besser als seine Eltern machen würde…
Wunschdenken…
Die Realität sieht leider anders aus. Meine Tochter hat noch nie körperliche Repressalien über sich ergehen lassen müssen – den Punkt habe ich tatsächlich erfüllt. Aber in punkto Coolness habe ich wohl noch so einiges nachzuholen.
Hier das Protokoll eines grandiosen Scheiterns:

Samstag, 15. März:
Irgendwann am späten Nachmittag klingelt das Telefon und als ich abhebe erschallt ein undefinierbarer Wortschwall meiner Tochter aus dem Hörer. „Klasse“, denke ich, „Hört sich so an, als fetzen sich Mutter und Tochter mal wieder aufs Heftigste…“.
„Langsam, langsam“, kann ich irgendwann einwerfen und Wee holt tief Luft. „Was ist denn jetzt wieder los bei euch?“ – Der geneigte Leser wird sich erinnern, dass ich seit anderthalb Jahren von Frau und Tochter getrennt lebe aber dennoch möglichst alle anfallenden Pflichten zu erfüllen suche.
„Ich hab Karten für das Beyonce-Konzert morgen Abend in Köln gewonnen!“ jauchzst es durch den Hörer. „Ich hab da ein Preisausschreiben gemacht, die haben mir eben eine E-Mail geschickt. 2 Karten!“
„Glückwunsch – wie kommst du da hin und vor allem wieder weg?“ Ich überlege kurz, mein erstes Konzert besuchte ich 1977 als 18-jähriger – Genesis die „Trick of a tail“-Tour.
„Eine Freundin kommt mit und ihr Vater holt uns auch an der Lanxess-Arena ab.“
„Okay, du weißt aber, dass es spät wird – und Montag ist Schule. Wer zum Konzert geht, kann…“
„Ja klar gehe ich in die Schule. Ich hab auch Glück, die erste Stunde ist frei…“

Schien soweit alles perfekt organisiert zu sein. Irgendwas muss sie ja von mir gelernt haben…
„Und was sagt die Mama dazu“ fällt mir noch die wichtigste Frage ein, denn Atchara ist etwas strenger und tut sich schwerer als ich damit, dass unser Mädchen langsam aber sicher flügge wird.
„Die hat ja gesagt – ist ja umsonst.“
„Na gut, dann ist das okay. Ich komme Morgen Mittag vorbei und dann kannst du mir das alles noch mal in Ruhe zeigen.“

Sonntag, 16. März (mittags):
Wie verabredet schlage ich gegen Mittag bei Frau und Tochter ein.
Wee ist ganz aufgeregt und hat sich eigentlich schon gut vorbereitet.
„Okay, zwei Regeln, Wee“, setze ich an. „Du sorgst dafür, dass der Handy-Akku vollgeladen ist, damit du erreichbar bist und im Notfall auch selbst anrufen kannst.“
Narissara nickt.
„Ja genau“, meldet sich Atchara zu Wort. „Du musst jede Stunde die Wee anrufen und alles kontrollieren.“
„Während eines Konzerts kannst du keinen anrufen – ist viel zu laut“, lehne ich ab. „Du rufst auf jeden Fall an, wenn du zuhause bist.“ Setze ich noch hinzu.

Atchara nötigt mich, die E-Mail und die ausgedruckte Gewinnbescheinigung aufs Penibelste zu überprüfen, in der steht, dass die beiden Eintrittskarten bis eine Stunde vor Konzertbeginn an der Kasse bereitliegen. Nachdem soweit alles geklärt ist, bin ich eigentlich schon wieder auf dem Sprung zurück in meine eigene Höhle.

„Die Mei hat mich gar nicht gefragt, ob ich mitwill!“ klagt Atchara plötzlich und Wee guckt mich an und rollt vielsagend mit den Augen.
„Ich hab auch nie meine Eltern zu so was mitgenommen…“ entgegne ich. Allerdings hab ich auch so Musik gehört, die meinen Eltern die Gedärme verdrehte.
„Aber ich bin doch noch jung – und – BEYONCE!“ Die Betonung liegt vorwurfsvoll auf dem letzten Wort und ich gebe zu, dass ich ein geschenktes Ticket da auch nicht verachtet hätte, obwohl diese Art Musik nicht ganz mein Fall ist.
Ich unterdrücke weitere Diskussionen, wünsche Narissara viel Spaß und mach mich vom Acker.

Sonntag, 16. März (nachts):
Ich hatte mir ja vorgenommen, ganz cool zu sein. Und so ziehe ich mir abends in aller Ruhe den Tatort rein und nahm mir, da es bis zu Wees Anruf noch etwas dauern konnte, wieder einmal ein Buch zur Hand. Ein Blick auf die Uhr – 22 Uhr: Das Konzert sollte um 20 Uhr beginnen, aber ich habe noch kein Konzert erlebt, das pünktlich begann und so rechnete ich hoch, dass Beyonce ihre Sangesdarbietung so gegen 23 Uhr beenden würde. Raus aus der Halle, vom Vater der Freundin aufgelesen werden und dann, ja so gegen Mitternacht zu Hause einfliegen… alles im grünen Bereich.

Nichtsdestotrotz kann ich mir um 23.35 Uhr einen Anruf nicht verkneifen. Wee geht direkt ran und wie vermutet hat das Ganze erst um 21 Uhr begonnen und gerade erst geendet.
„Wir warten noch auf den Vater meiner Freundin.“
„Alles klar. War’s gut?“
„Oh ja, seeehhhr gut!“
„Alles okay, dann ruf an, wenn du zuhause bist.“
Ganz cool lege ich wieder auf und widme mich dem historischen Roman von Bernard Cornwell und während ich so lese verrinnt die Zeit.

Plötzlich schrillt das Telefon – Viertel nach Zwölf. Narissara ist ja gut in der Zeit, denke ich noch und nehme ab.

„Deine Tochter ist noch nicht zu Hause!“ schallt es mir aus der Leitung vorwurfsvoll entgegen.
„Ich hab eben mit ihr telefoniert – die sind unterwegs“, wiegele ich voll cool ab.
„Du musst noch mal anrufen! Vielleicht ist was passiert…“
Okay, da fällt mir dann auch ein, dass in Leverkusen gerade wieder so ein perverses Schwein durch die Gegend läuft und junge Mädchen versucht anzugrapschen oder gar Schlimmeres. Und da kommt dann wieder die Angst in mir hoch, die mich all die Jahre beschäftigt hat, schließlich kann man Mei sehr deutlich ansehen, dass sie asiatischer Herkunft ist – ein gefundenes Fressen für freilaufende Perverslinge…
Okay, mal eben ganz kurz einen Kontrollanruf tätigen, um meine Frau zu beruhigen, die nach 3 oder vier Minuten schon wieder ganz aufgelöst am anderen Ende der Leitung ist.
Ich rufe Wees Handy an – und lande (wie ich es hasse…) auf ihrer Mailbox. Wieder mal leise gestellt und in der Handtasche. Na gut, noch einmal, damit ich Atchara bei ihrem nächsten Anruf voller Coolness beruhigen kann.
Wieder nur die Mailbox.
Dann eben eine SMS, in etwas schärferem Ton – schließlich hatten wir die Diskussion wegen dem Nichtannehmens unserer Anrufe letzte Woche noch- und unter Androhung drakonischer Strafmaßnahmen von mindestens einer Woche Hausarrest…

Warten….
Keine Reaktion…

Das Telefon klingelt erneut, jetzt ist 0.25 Uhr und Atchara rastet langsam aber sicher aus – vor allem, als ich ihr sage, dass ich Wee auch nicht erreiche.
So langsam mache ich mir doch Sorgen, obwohl ich doch cool bleiben wollte. Ich bereite mich vor, zu später Stunde noch zu Fuß von Alkenrath nach Quettingen zu stiefeln, um meine Frau zu beruhigen. In knappen Abständen versuche ich ab und an – 16 Mal, wie ich später im Verbindungsnachweis nachlesen kann – meine Tochter zu erreichen. Ohne Erfolg.

Finstere Visionen schleichen sich in meinen Kopf und ich ertappe mich dabei, wie ich zum Hörer greife und die 110 wählen will…

Kam der Vater der Freundin zu spät? Natürlich hatte ich auch nicht nach dem Namen von Freundin und Vater gefragt – wen soll ich jetzt anrufen, um eine Auskunft über den Verbleib meiner Tochter zu erhalten?
Hat etwa irgend so ein perverser Sack?
Gnade ihm Gott… wenn ich den erwische.
Es hält mich – nun um 0.35 Uhr und drei weiteren vergeblichen Anrufversuchen meinerseits und ebenso vielen Anrufen meiner Frau bei mir – nicht mehr in der Wohnung. Ehe ich genau darüber nachdenken kann bin ich bereits fast auf Höhe der Textar vollgeladen mit einem Gefühlsmix aus Angst und Wut – wahrscheinlich hat sie ja wieder nur ihren Akku leergenudelt, mit Handyvideos von Beyonce…
Aber es könnte ja auch…
Soll ich die Polizei anrufen – oder lachen die mich nur aus…

Oh Mann, diese Ungewissheit!

Ich beschleunige meinen Schritt und dann klingelt das Handy. Ich sehe schon an dem Anrufbild, dass Narissara von ihrem eigenen Festnetzanschluss anruft.
„Papa, ich bin jetzt zuhause…“
Ich lasse sie gar nicht weiter reden, explodiere förmlich, hauptsächlich vor Erleichterung.
„Wee, weißt du, was du Mama und mir für einen Schrecken eingejagt hast?“ brülle ich ins Handy. „Ich hab mir fast in die Hose geschissen vor Sorge – warum gehst du nicht an dein verschissenes Handy?“
„Der Akku war leer…“ kommt vom anderen Ende der Leitung.
Ich atme tief durch…

„Mann, ich hab dir doch extra gesagt, du sollst den aufladen.“ Ich blicke mich um. In meiner Wut bin ich so ziemlich zwischen meiner Wohnung und der meiner Frau. Mittlerweile ist 0.50 Uhr und ich beruhige mich wieder.
„Okay, ich war schon auf dem Weg zu euch und wärst du dann nicht zu Hause gewesen, hätte ich die Bullerei gerufen.“ Ich mache mich wieder auf den Rückweg, immer noch voll unter Adrenalin. „Ich geh jetzt nach Hause, Wee – aber ich schwöre dir, das machst du nie wieder…“

Auf dem Heimweg kreiere ich eine saftige Standpauke, die ich ihr demnächst halten werde  - aber andererseits ärgere ich mich, dass mir diese Aktion überhaupt passiert ist. Bin ich alter seniler Sack doch nicht so ein cooler Vater, wie ich immer geglaubt habe…?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen