Freitag, 20. September 2013

(Fast) Eine Kleinstadt-Musiker-Karriere

Die trüben Herbsttage sind angebrochen und die allgemeine, melancholische Stimmung ob des miesen Wetters läßt die Gedanken schon mal abschweifen – hinfort in andere Tage und vermeintlich bessere Zeiten.

Wenn man sich seit Wochen und Monaten durch einen Wust uralter Fotos seiner eigenen Jugendsünden und der Anderer wühlt, fällt einem schon mal so manches ein, dass im Nachhinein betrachtet vieles wieder in einem anderen Licht erscheinen lässt.

So geht es mir zumindest gerade, wenn ich mit der Entscheidung ringe, ein 26 Jahre altes Video vom letzten Auftritt meiner damaligen Band „The Fresh’n’Food Band“ ins Netz zu stellen, oder mir die Peinlichkeit lieber zu ersparen. 

Okay, letztendlich habe ich mich dann für die Veröffentlichung entschieden, schon aus Gründen der Fairness denen gegenüber, deren „Jugendsünden“ ich auch auf einer besonderen Facebook-Seite gepostet habe.

Obwohl - ich kann jede Schuld für im Laufe der Jahre erlittene Ohrenschmerzen ob meines Gesangs in verschiedenen Bands, mit ruhigem Gewissen von mir weisen. 

Den Gedanken, vielleicht ein begnadeter Rocksänger zu sein, pflanzte mir nämlich im zarten Alter von 12 Jahren mein Klassenkamerad Wolfgang Wetzel ins Ohr, als ich leise „Softly Whispering I Love You“ von The Congregation vor mich hinsingend über den Schulhof wandelte.
Wolfgang blieb plötzlich neben mir stehen und meinte „Manchmal kannst du ja doch singen, Wolf“ – er hat wohl nicht geahnt, welche Lawine er mit diesen freundlich gemeinten Worten letztendlich lostreten sollte.

Es kam, wie der geneigte Leser schon vermutet: in Null-Komma-Nix hatten Wolfgang und ich mit zwei weiteren Klassenkumpels – Ralf Stöcker und Christoph Klebsch – unsere erste Band gegründet und wir waren natürlich  voller Träume von Ruhm und Reichtum und – damals noch nicht so detailliert, weil wohl doch noch etwas zu jung – kreischenden Groupies, die uns bis in die Betten der Hotelzimmer verfolgen oder uns zumindest ihre Schlüpfer auf die Bühne werfen würden…

Haha, letztendlich bin ich froh, dass niemand auf den Gedanken kam, mit reifem oder verfaultem Obst oder Gemüse nach mir zu werfen…

Ich erinnere mich noch, wie wir voller Elan unsere Proben in der Stöcker’chen Garage absolvierten. Mit einer Akustikgitarre, in die Wolfgang ein Kassettenrecorder-Mikrophon gesteckt hatte, einer von Christoph bedienten Bontempi-Orgel und einigen vom Orchesterverein Hilgen ausgeliehenen rudimentären Schlagzeugteilen ( Ralf hat auch schon mal auf Plastikeimern getrommelt, wenn er die Ausleihe vergessen hatte…).

Und natürlich Supersänger Wolfman, dessen erster musikalischer Gehversuch ebenfalls über einen Kassettenrecorder verstärkt wurde. 

Die ersten Stücke, an denen wir uns versuchten waren „Black and White“ von Three Dog Night und „Mama, weer all crazy now“ von Slade. Später versuchten wir uns an so filigranen Stücken wie „Nights in White Satin“ oder „If you think you know how to love me“ und was weiß ich nicht noch alles. Ich glaube „Iron Man“ von Black Sabbath und „We were all wounded at Wounded Knee“ von Redbone gehörten auch kurzzeitig zu unserem Repertoire und mittlerweile probten wir bei Christoph in dessen Zimmer in Bornheim und senkten die Milchquote der benachbarten Bauern.

Diese erste Bandphase gipfelte dann in einem von Rektor Stallmach – den viele nur als brutalen Griesgram in Erinnerung haben werden – gesponsorten Auftritt anlässlich unserer eigenen Schulentlassung in einem kleinen Turnraum im Keller der Burscheider Realschule 1975. Ich hab wohl mit besonderer Inbrunst Lobos „I’d love you to want me“ zum Besten gegeben.

Naja, Schwamm drüber – danach war’s das dann auch mit meiner Musiker-Laufbahn erstmal gewesen.

Es sollten ein paar Jährchen ins Land gehen, bis ich bei einem Sommerfest im Jugendzentrum Megaphon, wo ich damals ein Praktikum begleitend zur Fachoberschule Sozialpädagogik machte, am Tonstudio vorbei lief, in dem ein jeder, der Lust und Laune hatte, sich zu einem Playback als Rockröhre versuchen konnte.

Ich weiß bis heute nicht, welcher Teufel mich an dem Tag geritten hat. Jedenfalls sah ich jemanden, der sich verzweifelt mit dem Playback zu „Satisfaction“ von den guten alten Rolling Stones abmühte und im Anschluss daran fand ich mich erstmals in meinem Leben in einem Tonstudio wieder, mit Kopfhörern auf dem Schädel, über die das Playback lief.

Wow – das war eine Erfahrung, das kann man im Nachhinein gar nicht mehr beschreiben. 

Und ich sang mir die Seele aus dem Leib, konnte sehen, wie sich vor der großen Glasscheibe des Regieraumes einige Besucher versammelten, die mir mit großen Augen zusahen, in denen ich entweder Bewunderung oder blankes Entsetzen zu erkennen glaubte.

Aus purer Eitelkeit hab ich mich natürlich für die Bewunderung entschieden, zumal ich mit dem gerade entstandenen Tape auch noch der Tagessieger im Wettbewerb wurde und mit einer gemeinsam mit Michael Nover eingespielten Version von „The House oft the Rising Sun“ auch gleich noch den zweiten Platz abräumte…

Mein erster Ruhm…

Ging ehrlich gesagt runter wie Öl.

Fühlte sich gut und richtig an. Ja, ich war der geborene Rocksänger: Groupies, Musikproduzenten zieht euch warm an, hier kommt der aufsteigende Komet der 80er…

Jedenfalls fand ich mich in der Folge tatsächlich als Mitglied einer neuen Band wieder – Peter Sobieraj am Schlagzeug, Michael Nover spielte Gitarre und sang mit mir; Hartmut Ottenberg war der Leadgitarrist, der nie auftreten wollte und Detlev Grumpelt am Bass. Sie sollten für die nächste Zeit meine Mitstreiter sein und wir firmierten unter dem Namen des (damals noch so geschriebenen) dümmsten Hundes des Wilden Westens – Rataplan war geboren.

Das war schon `ne chaotische Truppe.
Immerhin beschränkten wir uns nicht nur auf das Kopieren bekannter Titel wie „Doctor Doctor“ von UFO, sondern wir schrieben auch unsere eigenen Songs – alle in a-Moll wie wir später mal feststellten, aber egal – wir absolvierten einige Auftritte und erspielten uns einen gewissen Ruf.

Im Dezember 1980 hatte ich dann im Flur des Megaphons eine Begegnung, von der ich nicht wusste, dass sie für den Rest meiner (eingebildeten) Musikerlaufbahn prägend sein sollte. Ein rothaariger Junge trat auf einmal auf mich zu und stellte sich als Norbert Hammermann vor.

„Ich hab‘ gehört, du sollst tierisch gut singen können“, wagte er einen Versuch. Ich musterte den Kerl, hatte ihn bisher nie wahrgenommen, obwohl er auch zu den Musikern einer der damals noch zahlreichen Megaphon-Bands gehörte.

Ich brummte desinteressiert irgendetwas, war mir auch nicht ganz sicher, ob der Kerl mich nicht etwa auf den Arm nehmen sollte - aber der Junge ließ nicht locker.

„Wir suchen gerade einen neuen Sänger“, erklärte er weiter und in Laufe des Gesprächs ließ ich mich tatsächlich dazu breitschlagen, einmal eine Probe ihrer Band „Malcolm X“ in Leverkusen zu besuchen, was sich im Nachhinein als wahrer Glücksfall herausstellen sollte, lernte ich da doch auch Henrik Herzmann, unseren späteren Bassisten, kennen. 

Musikalisch kamen wir allerdings nicht zusammen, da diese Band Funk Rock machte, was mir ganz und gar  nicht lag. Also übernahm ich für einige Zeit deren Management und versorgte die Jungs mit Texten.

Bis zum berüchtigten Auftritt während des ersten Straßenfestes 1981 war ich der Sänger von Rataplan. 

Leider passierte auf diesem Gig etwas, was nicht geplant war und von Peter Sobieraj Jahrzehnte später auf Facebook mit „und da ist unser Sänger Reiner Wolf, der Sack, mitten im Gig einfach abgehauen…“ kommentiert wurde – und es stimmte.

Wir spielten uns gerade die Seele aus dem Leib und ich stand auf der Bühne und sah ins Publikum.

Und das Publikum zu mir.

Und wie mich das Publikum so ansah – und auch hier weiß ich nicht mehr, ob in ihren Blicken Entsetzen, Bewunderung oder Mitleid lag – dröhnte plötzlich die Frage durch meinen Schädel: „Was zum Geier machst du hier eigentlich?“

Der Rest ist Geschichte – ich bin mitten im Song von der Bühne gegangen und hab mir in der benachbarten Bierbude die Kante gegeben…

Für mich war’s das dann erstmal wieder mit meiner Musiker-Karriere und diesmal endgültig.

Dachte ich jedenfalls ….


Im Sommer 1981 klingelte das Telefon und Norbert Hammermann am anderen Ende erzählte mir, „Malcolm X“ würde zwar weitermachen, aber er und Henrik wollte zusätzlich eine Rockband gründen und dabei hätten sie an mich als Sänger gedacht.

Verstärkt durch Axel Thewes am Schlagzeug, der allerdings schon nach kurzer Zeit durch Christoph Leibl ersetzt wurde gründete sich so – nach Namensvorschlag von Henrik Herzmann – die „The Fresh’n’Food Band“. Ich weiß heute nicht mehr, wie wir zu diesem Namen kamen, ich glaube Henrik erklärte etwas von Frisch und klingt nach Rock’nRoll Band…

Schnell kristallisierte sich heraus, dass ich mit diesen Jungs nach Jahren der Wirrungen endlich die Musiker gefunden hatte, mit denen ich musikalisch tatsächlich mehr oder weniger auf einer Wellenlänge lag.
Es entstand eine Mischung aus Hardrock-Elementen, vermischt mit Blues und Funk, die wohl auch beim Publikum sehr gut ankam.

Der erste Auftritt fand natürlich im Megaphon statt, wo wir auch unseren Proberaum hatten – auf der für meinen Bewegungsdrang viel zu kleinen Bühne. Da blieben schon mal durch die Luft fliegende Mikrofone auf der Strecke, oder Henriks Bass erlitt einige böse Kerben, weil er von meinem herumgewirbelten Mikro getroffen wurde – damals hatten Mikrofone ja nach meterlange Kabel…

Bei der „Fresh’nFood Band“ bestand das Programm fast ausschließlich aus eigenen Songs, die zumeist von Norbert aber auch immer wieder aus Hendriks Ideenpool stammten, zu denen ich dann mehr oder weniger herzzerreissende Spät-Teenager-Texte verfasste, die ich bei heutigem Stand ehrlich gesagt nicht mehr zum Besten geben würde.

Zusammen mit „Cake Walk“ um den leider früh verstorbenen Axel Adolphs und Tommy Hahn und „Duesentrieb“ mit den Streifeneder-Brüdern und Bernd Wenzlaw und Helmut Wetzel waren wir damals – zu Beginn der 80er – in der näheren Umgebung die Abräumer.

Wir spielten in Rockerkneipen – ich weiß noch, wie war nach Ende des Gigs nur noch unsere Gagen nahmen und machten, dass wir weg kamen, weil da waren wir im falschen Milieu und ich hab mir fast in die Hosen gemacht, als während der einzigen Ballade im Programm der Oberboss – ein Kerl wie ein Schrank – mir mit blitzenden Augen zuschrie „Aber nach dem Liebesscheiß macht ihr wieder richtige Musik, oder…“ - oder auch in Kellern unter Kirchen, in halbwegs vollen Sälen und auch schon mal vor nur 20 Leuten...

Selbst die Presse war uns wohlgesonnen, wenn die Fotografen nicht gerade das Pech hatten, auf der Bühne fotografieren zu wollen, wenn ich bei „Let’s spent the night together“ nach einem fulminanten Ritt auf dem Mikrofonständer, diesen in genau die Ecke warf, in der ein Fotograf so gerade noch mit seinem Leben davon kam. „Sänger Reiner Wolf war im Umgang mit dem Mikrofonständer ekelerregend und pervers!“ konnte man Tags darauf dann in der Lokalpresse lesen – It’s only Rock’n’Roll, Mann!

Leider hatten die Mitstreiter in der Band den Makel, Einiges in der Birne zu haben, so dass schon nach 2 Jahren erste Probleme dadurch auftraten, dass drei von ihnen, nämlich Thomas, Hendriks Bruder und unser 5. Mann am Saxofon, Norbert und Christoph mit einem Medizinstudium begannen, was die Fortentwicklung der Band dann letztendlich nicht nur gewaltig hemmte, sondern dann 1987 zu ihrem – unbeabsichtigten – Ende führte.

Der auf Facebook präsentierte dreiteilige Videomitschnitt stellte dann auch das Ende der Band dar – es gab zwar gegen Ende der 1990er Jahre noch einmal einen Reunion-Versuch, der aber daran scheiterte, dass Henrik sich entschloss, die Band zu verlassen – und für mich war das dann halt der Anlass nicht weiter zu machen, denn so ambivalent mein Verhältnis zu Henrik während unserer aktiven Zeit immer war – er war in meinen Augen der Boss, der mich mit meinen abgefahrenen Ideen auch schon mal wieder mehr oder weniger resolut auf den Boden der Tatsachen zurückholte.

Tja, viele der hier genannten Mitstreiter sind auch heute noch als Musiker aktiv:

Wolfgang Wetzel spielt mit „Take Six“ und „Two Man Group“ immer noch erfolgreich in unserer Umgebung.

Von Peter Sobieraj weiß ich, dass er das Schlagzeug gegen die Gitarre eingetauscht hat und mit „Mixxit“ dann und wann in unserer Nähe auf die Pauke haut.

Tommy Hahn spielt heute bei Wobuklax jährlich mehere Gigs in der Gegend.

Henrik Herzmann ist seit langen Jahren Bassist bei „Peter Lorenz & die Band“ in Leverkusen.

Christoph Leibl hat eine Praxis als Allgemeinmediziner in Viersen und sein Schlagzeug verstaubt im Keller.

Norbert Hammermann, der rothaarige Junge von 1980, ist seit mittlerweile 20 Jahren mein Zahnarzt und spielt in der Düsseldorfer Band „Soul Food Company“.

Und meine Wenigkeit?

Nachdem man mir schon mehrmals das Wasser abgedreht hatte, singe ich heutzutage nicht einmal mehr in der Badewanne.

Zwar kam nach der Wiederentdeckung unseres Videos vor einem Jahr von Henrik und Norbert die Anfrage, ob wir die alten Sachen nicht noch mal spielen wollen – aber, ich will ehrlich sein, ich traue mich nicht mehr. 
Meine alten Texte kann ich nicht mehr vertreten und ich bin zu alt, um den Mick Jagger auf der Bühne raus zu lassen. Irgendwann sollte Schluss sein – und das Erinnern an gute und lustige Zeiten mit all den Musikern genügt mir heute.

Vielleicht mal nur für uns – ohne Publikum – in einem versteckten, einsamen Proberaum, oder ein letztes Reunion-Konzert, oder…

Hör auf zu träumen, Dicker…

1 Kommentar:

  1. So kann das Leben spielen... Du hast Dich in Deiner Jugend auf den Bühnen ausgetobt und jetzt fehlt Dir der Mut dazu. Bei mir wars umgekehrt. Früher nur ein bisschen auf der Gitarre rumgeschrubbelt, nur so, ohne Ambitionen, richtig Musik zu machen. Dann 2004 (mit 49 Jahren) erster öffentlicher Auftritt beim Sommerfest unserer Firma (eine Werkstatt für Menschen mit Behinderungen). Danach kam der Gedanke, eine Firmenband ins Leben zu rufen - hauptsächlich für interne Veranstaltungen (und davon gibt's bei uns reichlich). Erst waren wir nur Hauptamtliche in der Band. Inzwischen haben wir 4 Beschäftigte (so heißen unsere Betreuten offiziell) in die Band aufgenommen und unter dem neuen Lieblingsthema vieler Sozialpolitiker "Inklusion" folgten Auftritte bei einem SPD-Symposium mit Landtags- und Bundestagsabgeordneten und nun bei einem großen Musikfest mit mehr als 10 Bands aus ganz Schleswig-Holstein. Und ich habe gemerkt: je größer die Veranstaltung, umso mehr Spaß macht die Sache. Da spielt das Alter dann auch keine Rolle mehr... Und wenn man "Midnight Special" oder "Proud Mary" mit ner dreckigen Giesskannen-Röhre gröhlt, oder "Lady in Black" gefühlvoll säuselt und das Publikum auch noch mitsingt, fühlt man sich gleich zurückversetzt in sorglosere Zeiten. Trau Dich einfach...

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