Sonntag, 15. September 2013

Russendisco um 2.58 Uhr

Es gibt nicht viele schönere Dinge, als entspannt in Morpheus' Armen zu liegen, sich in sein nuckeliges Kissen zu wühlen und in unendlichen Traumwelten zu versinken; dahinzuschweben einer Elfe gleich, strahlend, jung, schön - Träume machen nun mal alles möglich...

Donnergetöse im Ohr von der Lautstärke eines mittelmäßigen Gewitters, bei dem der Blitz gerade in dein Dach hineingerasselt ist und mit einem gewaltigen Wumm alles in Schutt und Asche legt...

Erschrockenes Aufschrecken; desorientiertes Umhersehen im Schlafzimmer - Suche nach der Ursache für das abrupte Erwachen an einem Sonntag Morgen um - ein schneller Blick auf den Radiowecker - 2.58 Uhr...
Guter alter Radiowecker - zuverlässig wie eh und je.

Nachdem man mit Musik in den Schlaf hinübergeglitten ist, holt er dich am nächsten Morgen mit dem aktuellen Musikprogramm deines Lieblingssenders wieder ins Leben zurück...

Moment!?!

2.58 Uhr..

Viel zu früh...

Vor allem:

SONNTAGS?

Langsames Erkennen, dass irgendetwas nicht stimmen kann.
Klar, die Lautstärke ist normalerweise um mindestens 70 Phon leiser.

Also hoch mit dem faulen Arsch in den angrenzenden Wohnbereich zum Computer, dessen Internetradio und einige kleine und nützliche Tools es mir ermöglichen, abends mit Musikklängen langsam in die Traumwelt hinüber zu gleiten. Nach einer vorbestimmten Zeit schalten sich dann das Radio und zuletzt der ganze PC langsam aus.
Irgendwas muss schief gegangen sein, denn so laut höre ich normalerweise nie Musik.

Auf einem Live-Konzert vielleicht...

Immer noch  nicht ganz wach aber mit dröhnendem Schädel vor dem Computer dann die überwältigende Erkenntnis - der Computer ist aus: Dunkel und mucksmäuschenstill - wie es denn auch sein sollte um mittlerweile 3 Uhr morgens.

Aber -

Gott verdammich!

Irgendso'n Hirni im Haus hat wohl jetzt um diese Uhrzeit die Stereoanlage voll aufgerissen...
Mein Verdacht fällt zuerst auf meine Lieblingsnachbarin, die es mit dem Begriff Zimmerlautstärke tagsüber schon mal nicht so genau nimmt.
Vorsichtig wird die Wohnungstür geöffnet und die Schallwellen aus dem Hausflur lassen meine letzten drei Haare tanzen wie in einem Wirbelsturm der Klasse 5.

Wow!

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Das kommt von UNTEN.

Na Klasse, die Wohnung unter mir. Da sind vor zwei Wochen sieben Russen in eine 2-Zimmer-Wohnung eingezogen. Von den meisten siehst du nichts, aber man hört sie - vornehmlich am Abend. Und jetzt...
Ich mache mir kurze Gedanken über meine Jugend, die damals verwendeten Musiklautstärken und über allgemeine Toleranz - aber wirklich nur kurz, denn um kurz nach 3 Uhr am Sonntag Morgen fällt mir Toleranz sehr schwer.

Also, den Bademantel gepackt und übergeworfen und - den Wohnungsschlüssel nicht vergessen mitzunehmen - auf in den Kampf.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Ich muss mich mit aller Gewalt gegen die auf mich einprasselnden Schallwellen stemmen und die Treppe hinunterkämpfen. Vor der Wohnungstür angekommen, ein kurzes Räuspern und dann nähert sich mein rechter Zeigefinger in Zeitlupentempo dem Klingelknopf...

Mann, du weißt zwar, dass hier sieben Russen hausen - aber gesehen hast du bisher nur einen davon - und das war 'ne ganz schöne Kante... Wenn der jetzt die Tür öffnet und dir einfach eine einscheppt, brauchst du dir über die Lärmbelästigung zu nächtlicher Stunde keine weiteren Gedanken mehr zu machen...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Ich überwinde meine Ängste und drücke - zaghaft zunächst - auf die Klingel.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Keine Reaktion...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Also nochmal auf den Klingelknopf drücken. Mit etwas mehr Nachdruck dann jetzt, schließlich sollen die Bewohner merken, dass ich langsam aber sicher richtig stinkig werde...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Man ahnt es schon - keinerlei wie auch immer geartete Reaktion...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Jetzt - kurz vor dem Ausrasten - wird mein Klingeln hektischer und fordernder. Das Klopfen mit der Faust oder gar Fußtritte an die Wohnungstür verkneife ich mir aber.

Nichts.

Gar nichts.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Immer nur: Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Und dazu - wahrscheinlich russischer - Gesang zu schmetternden ewig gleichen Bassrhythmen.
Wahrscheinlich liegen die jetzt zu siebt da im Wodka-Vollrausch - haben sich die Kante gegeben und kommen nächste Woche wieder zu sich...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Also wieder unverrichteter Dinge zurück ins eigene Schlafzimmer. Natürlich leicht gefrustet über den Misserfolg meiner mutigen Aktion.
Was nun tun?
An Schlaf ist nicht zu denken.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Einige Minuten verharre ich wie gelähmt und bin bereit, mich in mein Schicksal zu ergeben und den Rest der Nacht abzuschreiben.

Obwohl - nein, es gibt natürlich noch eine andere Möglichkeit:

110

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Ja, 110 erscheint mir, je länger ich darüber nachdenke, die einzig logische Wahl. Wenn die Polizei die Bande wachkriegt, kann die ja auch die Prügel einstecken und ich komme zu meinem wohlverdienten Schönheitschlaf...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Um 3.16 Uhr ist es dann soweit - 110 wird gewählt und meine Beschwerde vorgebracht - die Geräuschkulisse wird auch auf der Polizeiwache deutlich vernehmlich mitgeliefert.

Erstes Aufatmen.

Gleich ist das alles vorbei und ich werde mich wieder in Decke und Kissen auf meiner Matratze kuscheln können, um sanft dahinzugleiten...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Die Zeit verrinnt.

Die Musik bleibt - in der gleichen Lautstärke, unerbittlich - Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Ich merke so langsam, wie mein Blutdruck sich wieder in ungeahnt hohe Gefilde aufmacht, während die Zeit verrinnt und - Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm... - versucht, mir die Birne weich zu kochen.
Ich höre andere Hausmitbewohner ebenso erfolglos an der Tür der Russen-Gang klingeln und fluchen.

Fast glaube ich zu spüren, wie meine Haut langsam ins Grüne zu wechseln droht, wie meine Adrenalinreserven in den Kreislauf gepumpt werden und der Moment der Verwandlung in den unglaublich wütenden Hulk nicht mehr weit zu sein scheint.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Mit einem letzten Funken kaum noch vorhandener Selbstbeherrschung greife ich um 3.55 Uhr erneut zum Telefonhörer.

Mann, so viele Meuchelmörder und Vergewaltiger können doch jetzt nicht auf der Rolle sein und meine Ordnungshüter vom dem erlösenden Einsatz in unserem Haus abhalten.

Ein erneuter Anruf, bestätigt mir, dass mein vorheriger Notruf nicht als Scherz eingestuft wurde und die Kräfte der Ordnung nur überlastet sind.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Geduld, Dicker, Geduld - Rettung naht - hoffentlich - irgendwann...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Natürlich befindet sich keine einzige Kopfschmerztabelette in meinem Haushalt - und die Zeit verrinnt unerbittlich und Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm... droht mir den Schädel zu sprengen...

4.07 Uhr:

Endlich, das Klingeln signalisiert mir, dass das SEK Einlass ins Haus begehrt, um dem Russenterror ein verdientes Ende zu bereiten. So sehr ich seinerzeit über Wladimir Kaminers Buch gelacht habe, hier und jetzt plädiere ich vorbehaltlos für die sofortige Deportation und Ausweisung in den hintersten Zipfel Sibiriens - mal sehen ob sich Polarbären oder was sich sonst für Ungetüme da tummeln mögen, solchen Terror gefallen lassen...

Auch die Ordnungsmacht scheitert mit energischem Klingeln.
Ich höre, wie man bestimmt mit den Fäusten gegen die Türe böllert...

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...

Nichts...
Nichts...

Himmel, holt einen Rammbock und stürmt die Bude. Macht die Bande nieder - ohne Gnade. Haben die ja mit mir und den anderen Hausbewohnern, darunter kleine Kinder und alte Menschen, ja auch nicht...

Es klingelt noch mal an meiner Tür.
Ob ich denn wüsste, welcher der beiden Stromkästen zu der besagten Wohnung gehöre. Ich rate zum Abschalten der Stromversorgung beider Wohnungen, da eine eh nicht bewohnt ist.

Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbumms, tschingerassassa, bammbammbamm...
Bammbammbamm, tsching, bummsbummsbu...

Nichts mehr...

Totenstille...

Wunderherrliche, allerliebste Totenstille...

Mann, darauf die Stromversorgung einfach abzuknipsen, darauf hättest du alter Sack ja auch von alleine kommen können...

Egal!

Ruhe im Haus.

4.18 Uhr.

Ich höre noch, wie das Mobile Einsatzkommando das Haus wieder verlässt, kuschele mich in Kissen und Decke und lausche mit ehrfürchtiger Andacht hinaus in die unglaubliche Stille der Nacht...

Ich hoffe, wenigstens ihr hattet eine erholsame Nacht...

3 Kommentare:

  1. Wie schrecklich! Mein vollstes Mitgefühl!

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  2. Mein Mitgefühl hast du, hatte mal Nachbarn, die die Whg. über mir jede Woche von Freitag bis Sonntag in eine Zockerbude verwandelt haben. Deine Texte solltest du Comediens anbieten! Du schreibtst und man fühlt sich direkt mittendrin.

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    1. Danke. Ich überlege, ob der nächste Schritt nach diesem Blog nicht Lesungen oder Standup-Auftritte werden könnten. Bin mir aber noch nicht sicher, da das wäre dann tatsächlich Neuland für mich. Mit Schreiben und notfalls auch Musikauftritten hab ich so meine Erfahrungen - als Komiker (nur damals als Klassenclown - 4 Jahrzehnte her) nicht. Ich lass es mir durch den Kopf gehen...

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