Samstag, 6. Juli 2013

Älter werden

Der erste zögerliche Sonnenstrahl, der sich heute früh morgens - irgendwann so kurz nach Fünf - durch das Dachfenster meines Schlafzimmers stahl und auf meinen rechten großen Zeh traf, löste in guter alter Otto-Waalkes-Manier einen Dialog zwischen Zeh und Großhirn aus, der darin gipfelte, dass ich jäh aus dem Schlaf gerissen wurde und mich in dem Glauben,  ein junger dynamischer Gott zu sein, in die Höhe fahren ließ.

Grober Fehler!

Man sollte nie dem ersten Impuls beim Aufwachen folgen, der einen glauben lässt, man sei jung und knackig und in der Lage, ohne jegliche körperliche Mühe ganze Grasbüschel samt Wurzeln aus dem Erdreich zu rupfen - denn leider meldet sich die Realität schon im nächsten Moment vehement und gnadenlos: Aus der gleitenden Bewegung des Aus-Dem-Bett-Federns wird unvermittelt der unterdrückte Aufschrei schmerzender Knochen aus allen möglichen bekannten und unbekannten Regionen des vermeintlich jugendlichen Adonis-Körpers.

Naja, sei ein Mann, so ein bisschen Zipperlein ist normal und wird dich doch hoffentlich nicht aus der Bahn werfen...

Also rübergewankt ins Bad und dann der Blick in den Spiegel. 

Blankes Entsetzen durchflutet mich und der erste Impuls ist, dass mir ein vollkommen Fremder entgegenblickt; nein, DIESES zerknitterte Antlitz kann doch nicht meines sein! All die Falten und dieses spärliche graue Haar, dass sich in einem letzten verzweifelten Aufbäumen in alle Windrichtungen reckt - nein, nein und nochmals NEIN: Das kann ich nicht sein, das bin ich nicht!
Hatte ich nicht letztens noch volles lockiges Haar? Wie war doch noch dessen Farbe? 

Und diese Kraterlandschaft da im Spiegel vor mir - Charles-Bukowski läßt schön grüßen ("Mein Gesicht? Das war ein Unfall... ein Besoffener, der vor's Auto lief... der Besoffene war ich").

Wow!

Ist es denn tatsächlich schon sooooo lange her, dass ich an meinem 30. Geburtstag vor'm Spiegel stand und mir 5 bis 7 Stunden lang einreden musste, dass ich nunmehr ALT sei, obwohl mir mein Job (Mitarbeiter eines Jugendhauses) ewige Jugend vorgaukelte?
Oder die großkotzige Party zum 40. Geburtstag, an der wir in heiterer Runde gar fröhlich das Hinscheiden meiner Jugend zelebrierten und keinen Gedanken daran verschwendeten, das das wirkliche Elend ja jetzt gerade erst begann...
Und der 50. - hatte ich nicht eine große Party mit Reunion unserer alten Band geplant, ein Riesen-Event mit hunderten von Gästen? 

Und was hab ich getan stattdessen? 

Zwei Tage Urlaub genommen, mich in einem kleinen Zimmer eingeschlossen und bitterliche Tränen darüber vergossen, JETZT WIRKLICH alt zu sein. Den richtigen Umgang mit Gehhilfen, Rollator und Rollstuhl habe ich so verbissen geübt, wie damals in der Fahrschule den Umgang mit einem Auto.
Aber ich bin natürlich wie immer vom Thema abgekommen.

Diese alte Fratze, die mich da morgens angrinst - etwas hilflos und verzweifelt - kann das tatsächlich ICH sein? Ich fühle mich doch eigentlich noch...
Ja wie fühle ich mich denn?

Realitätsverlust - damit fängt es - glaube ich - an, das Älter werden.

Hatte ich nicht irgendwo mal gehört oder gelesen, man würde weise im Alter. Irgendwas von würdevollem Altern?
Gottverdammich - ich bin so vieles, aber ganz bestimmt nicht weise - und wo ist die Würde des Alters bei mir geblieben? 
Hat das morgendliche Zipperlein, das immerwährende Knacken, Ziehen und Stechen quer durch den ganzen Körper etwa was Würdevolles? 

Hatte ich überhaupt mal Würde? 

Oder ist die mir in der bewegten Jugend zwischen dem 796. Bier und dem 814. Joint einfach so abhanden gekommen - oder hat sie mir irgendwer in einem unbedachten, rauschgeschwängerten Moment schlichtweg entwendet, zappzerapp - geklaut?

Nee - Alter, das Spiegelbild früh morgens hat nun so ganz und gar nichts mit Würde zu tun und das Beste, was du da tun kannst, ist dich ganz schnell wieder ins Bett zu bewegen und darum zu beten, dass dich beim nächsten Aufwachen im Spiegel wieder der alte, jugendliche Wirrkopf begrüßt.

Die Hoffnung stirbt halt zuletzt...

Älter werden ist auf jeden Fall ganz und gar nicht mein Ding...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen